Leitsatz (amtlich)
Jedes Ermittlungsverfahren ist so lange ein eigenständiger Rechtsfall i.S. der Nr. 4100 VV RVG wie nicht die Verbindung mit anderen Verfahren erfolgt ist. Allein die Absicht der Staatsanwaltschaft, später die Verbindung mit anderen Verfahren herbeizuführen, nimmt dem Verfahren aber nicht die Qualität als eigenständiger Rechtsfall.
Erörtert der Rechtsanwalt die Sach- und Rechtslage ausführlich mit seinem Mandanten, wird diese Tätigkeit nicht mehr von der Grundgebühr, sondern von der Verfahrensgebühr umfasst.
Verfahrensgang
AG Braunschweig (Entscheidung vom 12.12.2009; Aktenzeichen 8 Le 107 Js 12216/08) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Verteidigers wird der Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 12.12.2009 (8 Le 107 Js 12216/08 aufgehoben. Die dem Verteidiger zu erstattende Pflichtverteidigervergütung wird auf insgesamt 10.174,56 Euro festgesetzt. Die Beschwerde der Staatskasse wird als unbegründet verworfen.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 S. 2 RVG); außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S. 3 RVG).
Gründe
1.
Das Verfahren 107 Js 12216/08 gegen die inzwischen rechtskräftig verurteilte pp. wurde bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig zunächst in 27 einzelnen Ermittlungsverfahren geführt. Der Beschwerdeführer Rechtsanwalt H. nahm am 25.6.2008 in 22 Einzelakten Akteneinsicht. Nach der erfolgten Akteneinsicht wurden 9 Einzelakten zu dem Verfahren 107 Js 12216/08 verbunden und weitere 13 Einzelakten zu dem Verfahren 107 Js 33391/08 verbunden, und zwar am 11.7,2008. Weiterhin nahm Rechtsanwalt H. vor Klageerhebung weiter Akteneinsicht in die Akten 107 Js 48942/08, 107 Js 42898/08, 107 Js 64321/08, 107 Js 66898/08 und 107 Je 68312/08. Diese Verfahren wurden erst nach Klageerhebung vom Amtsgericht Braunschweig am 7.4.2009 mit dem führenden Verfahren 107 Js 12216/08 zur gemeinsamen Verhandlung verbunden.
Die ursprünglich 27 Ermittlungsverfahren wurden von der Staatsanwaltschaft Braunschweig letztendlich in 7 Ermittlungsverfahren zusammengeführt und jeweils einzeln zum Schöffengericht Braunschweig angeklagt.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 7.4.2009 wurde Rechtsanwalt H. der Angeklagten gern. § 140 Abs. 2 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Mit Schreiben vom 25.6.2009 beantragte Rechtsanwalt H. die Festsetzung der entstandenen Pflichtverteidigergebühren in Höhe von insgesamt 10.174,56 Euro. Zur Begründung verwies er darauf, dass es sich ursprünglich um 27 einzelne Ermittlungsverfahren gehandelt habe, so dass die Gebühren in 27 Ermittlungsverfahren sowie darüber hinaus 7 Verfahrensgebühren für das gerichtliche Verfahren und eine Terminsgebühr entstanden seien. Es wird Bezug genommen Bd. VW, BI. 85 ff., 98- 105 d.A..
Mit Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 20.7.2009 wurde die zu erstattende Pflichtverteidigervergütung auf 3.634,40 Euro festgesetzt. Zur Begründung wurde' ausgeführt, dass es sich nur um 7 Ermittlungsverfahren gehandelt habe.
Gegen diesen Beschluss legte Rechtsanwalt H. mit Schreiben vom 22.7.2009 Erinnerung ein. Mit der Erinnerung werden weitere Gebühren in Höhe von 6.540,16 Euro geltend gemacht.
Der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Braunschweig holte daraufhin die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Braunschweig ein, ob es sich ursprünglich um 27 einzelne Rechtsfälle im Sinne von § 48 Abs. 5 RVG I.V.m. Nr. 4100 VVRVG gehandelt habe. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig teilte daraufhin mit, dass die 27 Verfahren aus statistischen Gründen und um ggfs. einzelne einfacher einstellen zu können, zunächst getrennt eingetragen worden seien. Es sei klar gewesen, dass die zu verfolgenden Taten verbunden werden sollten. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft habe es sich um 7 Rechtsfälle, nämlich die 7 Anklagen, gehandelt. Dieser Auffassung schloss sich der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Braunschweig an.
Das Amtsgericht Braunschweig hat mit Beschluss vom 12.12.2009 auf die Erinnerung des Verteidigers den Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 20.7.2009 aufgehoben und bestimmt, dass die Pflichtverteidigervergütung neu festzusetzen sei. Zur Begründung führt das Amtsgericht Braunschweig aus, dass es darauf ankomme, dass es sich um ursprünglich 27 einzelne Rechtsfälle gehandelt habe. Der Verteidiger habe im Vorfeld nicht wissen können, dass die einzelnen Verfahren verbunden werden.
Gegen diesen Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig legte sowohl der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Braunschweig als auch der Verteidiger Rechtsanwalt H. Beschwerde ein, letzterer mit dem Ziel, in Abänderung des angefochtenen Beschlusses die Kosten in Höhe von weiteren 6.540,16 Euro festzusetzen.
Der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Braunschweig verteidigt den ursprünglichen Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 07.04.2009. Er stellt in seiner Begründung darauf ab, dass entscheidend für den Begriff des Rechtsfalles im Sinne Nr. 4100 WRVG sei, wie er von den Strafverfolgungsbehörden behandelt werde. Da die Staatsanwaltschaft Braunschweig vorliegen...