Orientierungssatz
(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)
Ist der Mieter persönlich nicht mehr in der Lage, den vertragsgemäßen Winterdienst zu versehen, wird er unter gewöhnlichen Umständen von seiner Leistungspflicht frei.
Gründe
(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)
Entgegen der Ansicht des AG ist die Klägerin nicht verpflichtet, im Rahmen der Hausordnung auf dem Hausgrundstück in Darmstadt Schnee zu räumen und verschneite bzw. vereiste Gehwege abzustreuen.
Der Klägerin ist allerdings darin nicht zu folgen, daß eine derartige Verpflichtung nicht wirksam im Mietvertrag vereinbart worden sei. Zwar ist ihr zuzugeben, daß gem. § 536 BGB der Vermieter verpflichtet ist, die Mietsache dem Mieter in einem zum vertragsmäßigen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und darin zu erhalten. Diese Bestimmung ist jedoch nach allgemeiner und zutreffender Ansicht abdingbar (Palandt-Putzo, BGB Anm. 1 zu § 536, Münchener Kommentar - Voelskow, Rn. 98 zu § 536 BGB). Dies ist hinsichtlich der Schneeräumpflicht im Mietvertrag der Parteien geschehen. Im Mietvertrag v. 16.11.1946 hat sich nämlich die Klägerin der jeweiligen Hausordnung unterworfen. Diese sieht in der von der Klägerin unterzeichneten Fassung eine Schneebeseitigungspflicht vor (Ziff II 7). Abgesehen davon entspricht die Schneeräumung auch jahrzehntelanger Handhabung.
Die Klägerin irrt auch, wenn sie meint, die formularmäßige Belastung des Mieters mit der Erledigung des Winterdienstes sei mit § 9 AGBG nicht vereinbar; auf die zutreffenden Ausführungen des AG zu diesem Punkt kann verwiesen werden.
Eine Nichtigkeit der Hausordnung ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt einer ungleichen Behandlung der Klägerin gegenüber anderen Mietern im Hause (so lag der Fall, der der Entscheidung des LG Frankfurt WM 1988, 120 zugrunde lag); denn in der Hausordnung sind alle Mieter gleichmäßig zum Winterdienst verpflichtet.
Entgegen der Auffassung des AG ist die Kammer aber der Überzeugung, daß die Verpflichtung der Klägerin wegen nachträglicher subjektiver Unmöglichkeit (§ 275 BGB) entfallen ist. Die jetzt im 76. Lebensjahr stehende Klägerin ist schwer erkrankt, wie sich aus der ärztlichen Bescheinigung v. 8.3.1988 ergibt. Sie ist, wovon sich die Kammer im Verhandlungstermin überzeugen konnte, auf den Rollstuhl angewiesen. Es ist ihr deshalb ohne weiteres darin zu folgen, daß sie persönlich nicht mehr in der Lage ist, im Rahmen der Hausordnung den Winterdienst zu versehen. Auch wenn die Schneeräumungspflicht keine höchstpersönliche Leistung ist, wie das AG zu Recht betont (so auch LG Flensburg WM 1987, 52 und LG Wuppertal WM 1987, 381), so ist doch nach den besonderen Umständen des Streitfalles dennoch das unverschuldete Unvermögen der Klägerin zu bejahen. Es erscheint nach der Lebenserfahrung aussichtslos, die kommerziellen Reinigungsunternehmen in der jeweiligen Kehrwoche der Klägerin zu verpflichten, bei Bedarf den Gehweg auf dem Anwesen mit abzustreuen bzw. von Schnee zu säubern. Die Klägerin hat darüber hinaus nachvollziehbar und unbestritten dargetan, daß auch sonstige soziale Einrichtungen sie abschlägig beschieden haben, weil Hilfskräfte für solche Arbeiten nicht zur Verfügung stehen. Die Vermittlung Arbeitsloser scheitert an der Geringfügigkeit der Arbeiten. Sonstige Angehörige, an die die Klägerin sich wenden könnte und die in der Lage wären, zu den gegebenen Zeiten die Verpflichtungen der Klägerin zu übernehmen, sind nicht vorhanden. Die Möglichkeit, die anderen Mietparteien jeweils um die Gefälligkeit zu bitten, die Schneebeseitigung bzw. das Abstreuen in der fälligen Zeit zu übernehmen, scheidet aus. Es ist der Klägerin nicht zuzumuten, jeweils andere um eine Gefälligkeit bitten zu müssen. Die Kammer sieht nach alledem keine Möglichkeit für die Klägerin, gegen Entgelt oder ohne ein solches Hilfskräfte zu finden, die ihr die Schneeräumpflicht, zu deren Erfüllung sie unverschuldet nicht mehr in der Lage ist, verantwortlich abnehmen. Unter diesen Umständen des Einzelfalls ist das subjektive Unvermögen der Klägerin i.S. des § 275 BGB zu bejahen; der auf die entsprechende Feststellung gerichteten Klage war stattzugeben.
Fundstellen