Verfahrensgang
AG Lemgo (Beschluss vom 07.06.1995; Aktenzeichen 15 M 1851/95) |
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die nach §§ 9 BRAGO, 25 GKG zulässige Beschwerde ist, soweit ihr nicht mit Beschluß des Amtsgerichts Lemgo vom 13.9.1995 abgeholfen worden ist, nicht begründet.
Der Streitwert für den Vollstreckungsschutzantrag der Schuldner ist mit nunmehr 15.000 DM – dem Nutzungswert des Grundstücks für sechs Monate – nicht zu gering in Ansatz gebracht worden.
1.) Die Kammer folgt nicht der von dem LG München I – JurBüro 1995,482 –, dem AG Sinzig – DGVZ 95, 61 und Daunenhauer – W M 1994, 587 – vertretenen Auffassung, daß der Streitwert einer Räumungszwangsvollstreckung gemäß § 57 Abs. 2 BRAGO immer nach dem Verkehrswert des Grundstücks oder des zu räumenden Grundstücksteils zu bestimmen ist.
a) Wenn sich die Räumungszwangsvollstreckung gegen einen Mieter oder anderen Besitzer eines Grundstücks richtet, dem nur zeitlich begrenzter Besitz eingeräumt worden war, ist § 16 GKG analog anzuwenden.
Mit dem LG Köln – Entscheidung vom 17.7.1995 in 36 M 552/95, dem LG Münster – MDR 1995, 1269-, dem AG Koblenz – JurBüro 1995,483 und Mümmler – JurBüro 1995, 453 ist die Kammer der Auffassung, daß auch nach der Änderung des § 57 II BRAGO entsprechend § 16 Abs. 2 GKG der Mietzins für ein Jahr als Wert zugrunde zu legen ist. Der Begriff „Wert” in § 57 II BRAGO ist nicht eindeutig; es fehlen jegliche Anhaltspunkte, daß der Gesetzgeber mit der Novelle beabsichtigt hat, für Zwangsvollstreckungsverfahren auf Herausgabe von nur zum vorübergehenden Gebrauch überlassenen Grundstücken oder Grundstücksteilen den Wert in Ansatz zu bringen, der bei einem Streit um das Eigentum in Ansatz zu bringen wäre. Da kein Abrücken des Gesetzgebers von dem sozialen Anliegen der Kostenbegrenzung in Mietstreitigkeiten durch § 16 GKG zu erkennen ist, ist diese Vorschrift im Zwangsvollstreckungsverfahren entsprechend anzuwenden.
b) Eine analoge Anwendung des § 16 GKG ist aber auch bei Vollstreckungsschutzanträgen eines früheren Eigentümers nach § 765 a ZPO geboten, wenn dieser – wie hier bis zur Fertigstellung des Bauvorhabens des Sohnes – lediglich zeitlich befristeten Aufschub der Räumung nach § 765 a ZPO begehrt. Wenn hier auch bei der Herausgabevollstreckung nach § 885 ZPO der Grundstückswert maßgeblich wäre, ist doch in dem Verfahren nach § 765 a ZPO nur eine zeitlich befristete Nutzung des Grundstücks im Streit, die mit dem Mietwert für die streitige Zeit angemessen in Ansatz gebracht ist. Ein nach dem Wortlaut des § 57 II BRAGO naheliegender Ansatz des Grundstückwertes würde im Widerspruch zu dem Grundgedanken der §§ 12 GKG, 3 ZPO stehen, daß das Interesse dessen, der das gerichtliche Verfahren einleitet, für die Wertfestsetzung und damit die Gerichts- und Rechtsanwaltsgebühren maßgeblich sein soll. Die übrigen Bestimmungen über die Streitwerthöhe dienen einer Erleichterung (Pauschalierung) der Bewertung oder – wie § 16 GKG – der Ermäßigung der Kosten aus sozialen Gründen. Wenn bei Vollstreckungsschutzanträgen für befristete Zeit immer der Wert einer unbeweglichen Sache in Ansatz zu bringen wäre, würde dies zu grotesken und mit dem Anspruch auf Zugang zu den Gerichten unvereinbaren Ergebnissen führen. Die bei der Einschaltung von Rechtsanwälten mit dem gerichtlichen Verfahren verbundene Kostenbelastung eines Räumungsschuldners, der aus dringenden Gründen für kurze Frist eventuell sogar mehrfach, z.B. wenn sich die Fertigstellung eines eigenen Bauvorhabens unvorhersehbar verzögert – Räumungsschutz in Anspruch nehmen muß, wäre vielfach höher als der Nutzungswert des Grundstücks für die maßgebliche Zeit. Bei verfassungskonformer Auslegung des § 57 II Satz 1 BRAGO kann bei Vollstreckungsschutzanträgen in den Fällen, wo das Interesse beider Seiten des Zwangsvollstreckungsverfahrens sich eindeutig an dem Nutzungswert des von der Zwangsvollstreckung betroffenen Grundstücks oder der Grundstücksteils ausrichtet, nur der Wert der Nutzung für die fragliche Zeit maßgeblich sein. Der Wert für die Beteiligten kann allerdings – je nach ihren Verhältnissen – höher oder niedriger als der übliche Nutzungswert (erzielbare Mietzins) sein. Zur Pauschalierung dieses Wertes bietet sich eine analoge Anwendung des § 16 GKG an.
2.) Die Kammer ist in der Beschwerdeentscheidung vom 25.8.1995 von einem Mietwert der von dem Vollstreckungsschutzverfahren betroffenen Grundstücksteile von monatlich 2.500 DM ausgegangen; nähere Angaben der Parteien liegen insoweit nicht vor. Damit ergibt sich für eine Dauer von sechs Monaten ein Streitwert von 15.000 DM.
3.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 25 Abs. 4 GKG.
Unterschriften
Niemeyer, Amelung, Hahn
Fundstellen