Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert

von 104.900,00 € der Kläger.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %

des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Der Kläger unterhält seit Februar 2009 bei der Beklagten eine Unfallversicherung unter Geltung der AUB 2008. Vereinbart ist eine Grundinvaliditätssumme von 75.000,00 € mit Progressionstafel 350 % sowie ein Krankenhaustagegeld, Genesungsgeld sowie ein Haushalthilfegeld.

Wegen psychischer Probleme hatte der Kläger für den 03.03.2009 die stationäre Aufnahme in einer psychiatrischen Klinik in E vereinbart. Da die psychischen Probleme sich verstärkten, begab er sich bereits am 28.02.2009 in Begleitung seines Sohnes zur Aufnahme in die Klinik, wo er in den Folgetagen Suizidgedanken und die Sorge äußerte, dritten Personen etwas anzutun. Außerdem berichtete er über Schmerzzustände, Unruhe und Schlaflosigkeit.

Am 04.03.2009 verließ er das Gelände der psychiatrischen Klinik, wo er nicht in einer geschlossenen, sondern in einer offenen Abteilung untergebracht war. Vom Gehweg der vor der Klinik verlaufenden Straße trat er vor die mit ca. 40 km/h herannahende Straßenbahn, nachdem er unmittelbar zuvor Blickkontakt mit der Führerin des Straßenbahnzuges aufgenommen hatte. Er wurde trotz Notbremsung der Fahrerin von der Bahn erfasst und einige Meter unter der vorderen Kupplung des Straßenbahnzuges mitgeschleift und dadurch schwer verletzt. Durch notärztliche Hilfe überlebte er den Vorfall. Wegen dauerhafter Beeinträchtigungen an den Gliedmaßen begehrt er Invaliditätsleistung, Krankenhaustagegeld, Genesungsgeld sowie die vereinbarte Haushaltshilfeleistung. Er sieht die erlittenen Gesundheitsschäden nicht als freiwillig herbeigeführt an, weil er sich in die Klinik begeben hat, um gerade einen Suizid zu verhindern. Zu dem Vorfall habe es nur kommen können, weil er entgegen seinem Willen nicht in die geschlossene Abteilung der Klinik aufgenommen worden sei. Wegen einer grob fehlerhaften Einschätzung der konkreten Suizidgefahr durch die Klinikärzte sei er vielmehr in eine offene Abteilung gelegt worden, so dass es ihm möglich gewesen sei, die Klinik wieder zu verlassen. Er selbst habe alles getan, um eine freiwillige Gesundheitsschädigung zu vermeiden, so dass vor deren Unfreiwilligkeit ausgegangen werden müsse.

Der Kläger beantragt,

  • 1.

    die Beklagte zu verurteilen, an ihn 104.900,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

  • 2.

    die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.118,44 € an außergerichtlichen Kosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

  • 3.

    die Beklagte zu verurteilen, an ihn 683,80 € für die Einholung der Deckungszusage nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die sieht den Beweis der Freiwilligkeit der Gesundheitsschädigung als geführt an. Für sie stellt sich das tragische Geschehen als Selbstmordversuch dar. Dazu verweist sie auf die vom Kläger selbst geäußerten Suizidgedanken und einen Zettel, der in der Kleidung des Klägers nach seiner Bergung im Krankenhaus gefunden wurde. Darauf stand: "Es tut mir leid aber die Schmerzen waren zu groß. Machts gut. L, du warst immer meine große Liebe. Danke für alles!". Alternativ geht die Beklagte von einem Leistungsausschluss wegen Bewusstseinsstörung aus. Sie bestreitet die behauptete Invalidität.

Das Gericht hat den Kläger gemäß § 141 ZPO zu dem Vorfall vom 04.03.2009 angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 15.09.2011, wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf die bedingungsgemäßen Leistungen aus der zwischen den Parteien bestehenden Unfallversicherung zu, da die Beklagte bewiesen hat, dass die Gesundheitsschädigung freiwillig herbeigeführt worden ist, so dass es an den bedingungsgemäßen Voraussetzungen eines Unfalls fehlt, der Voraussetzung für die Leistungspflicht der Beklagten ist.

1.

Ein Unfall liegt gemäß § 178 Abs. 2 Satz 1 VVG, Ziff 1.3 AUB 2008 vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Gemäß § 178 Abs. 2 Satz 2 wird die Unfreiwilligkeit bis zum Beweis des Gegenteils vermutet. Nach dieser zwingenden - § 191 VVG - Beweislastverteilung hat die Beklagte zu beweisen, dass die Gesundheitsschäden, die der Kläger bei dem Vorfall vom 04.03.2009 erlitten hat, durch ihn selbst freiwillig herbeigeführt worden sind. Diesen Beweis muss der Versicherer mit dem Beweismaß des § 286 ZPO - Strengebeweis - führen. Beweiserleichterungen mittels An-scheinsbeweises kommen ihm nicht zugut...

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