Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss für Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen in der privaten Unfallversicherung
Leitsatz (amtlich)
Ein vereinbarter Versicherungsausschluss für Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen bezieht auch Fälle ein, in denen die versicherte Person zwar nicht in ihrer Aufnahme- oder Reaktionsfähigkeit gestört ist, aber infolge Geistesstörung nicht in der Lage ist, ihre Handlungen rational zu steuern.
Normenkette
VVG § 178
Verfahrensgang
LG Baden-Baden (Urteil vom 11.09.2023; Aktenzeichen 1 O 6/23) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 11.09.2023, Az. 1 O 6/23, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht Leistungen aus einer privaten Unfallversicherung geltend.
Die Klägerin unterhält unter der Versicherungsnummer ... eine private Unfallversicherung bei der Beklagten. Versicherte Person ist ihr Sohn. Die Versicherungssumme belief sich bis April 2019 auf einen Betrag von 108.000,- EUR. Bei Vertragsschluss wurden unter anderem die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen 2000 (i.F. AUB 2000) einbezogen. Diese lauten auszugsweise wie folgt:
1. Was ist versichert?
1.1 Wir bieten Versicherungsschutz bei Unfällen, die der versicherten Person während der Wirksamkeit des Vertrags zustoßen.
[...]
1.3 Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.
2.1 Invaliditätsleistung
2.1.1. Voraussetzungen für die Leistung
2.1.1.1 Die versicherte Person ist durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt (Invalidität).
Die Invalidität ist innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und von Ihnen bei uns geltend gemacht worden.
[...]
5.1 Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle:
5.1.1 Unfälle der versicherten Person durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, sowie durch Schlaganfälle, epileptische Anfälle oder andere Krampfanfälle, die den ganzen Körper der versicherten Person ergreifen.
Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn diese Störungen oder Anfälle durch ein unter diesen Vertrag fallendes Unfallereignis verursacht waren.
Der am 26.11.2003 geborene Sohn der Klägerin litt an einer generalisierten Angststörung mit depressiven Episoden. Am 14.01.2019 sprang er in Suizidabsicht aus dem Fenster seines Zimmers. Hierbei zog er sich Frakturen an beiden Beinen sowie der Wirbelsäule zu. Der Umfang der Verletzungen steht zwischen den Parteien im Streit.
Auf die Schadensmeldung der Klägerin hin, lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 12.03.2019 ihre Einstandspflicht ab, da es an der Unfreiwilligkeit des Unfallereignisses fehle. Mit ihrer Klage hat die Klägerin auf Grundlage eines angenommenen Invaliditätsgrads von 33,5 % eine Invaliditätsleistung von 36.180,- EUR sowie Krankentagegeld und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten geltend gemacht.
Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Zwar stehe einem Anspruch der Klägerin nicht entgegen, dass es bislang an einer ärztlichen Invaliditätsfeststellung fehle. Die Klage sei aber im Hinblick auf den Vortrag zum Unfallgeschehen bereits unschlüssig. Den Vortrag der Klägerin unterstellt, dass ihr Sohn nicht zu einer freien Willensbestimmung fähig gewesen sei, sondern auf Grund seiner psychischen Erkrankung zum Zeitpunkt des Suizidversuchs einem Zwang unterlegen habe, greife der Leistungsausschluss nach 5.1.1 AUB 2000; es sei dann von einer Schädigung in Folge einer Geistes- oder Bewusstseinsstörung i.S.d. Versicherungsbedingungen auszugehen. Ein Wahrnehmungsdefizit sei insofern nicht zwingend erforderlich, ausreichend sei vielmehr, dass die versicherte Person nicht in der Lage gewesen sei, ihr Verhalten an vernünftigen Erwägungen auszurichten und (gefahrabwehrend) richtig zu handeln. Da der Unfall zwangsläufig entweder freiwillig herbeigeführt worden sei oder auf einer Geistes- oder Bewusstseinsstörung beruhte, sei eine Beweisaufnahme über die geistige Verfasstheit des Sohnes der Klägerin nicht erforderlich gewesen.
Wegen der Einzelheiten der tatsächlichen Feststellungen und der Anträge wird auf das angefochtene Urteil verwiesen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Anträge weiter. Sie vertieft ihren erstinstanzlichen Vortr...