Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinweispflicht des Versicherers gegenüber der versicherten Person in der Unfallversicherung
Leitsatz (amtlich)
1.Die Hinweispflicht des Versicherers in der Unfallversicherung gemäß § 186 VVG besteht nur gegenüber dem Versicherungsnehmer und nicht auch gegenüber der versicherten Person. Bei einem rechtzeitig dem Versicherungsnehmer erteilten Hinweis kann sich der Versicherer auch gegenüber Ansprüchen der versicherten Person auf die in den Versicherungsbedingungen statuierten Ausschlussfristen (hier: zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung) berufen.
2. Der dem Versicherer obliegende Nachweis, dass der unfallursächliche Sturz aus einem Fenster nur entweder auf Freiwilligkeit (suizidale Absicht) oder auf einer Geistes- oder Bewusstseinsstörung beruhen kann, ist nicht geführt, wenn ein vom Versicherten dargestellter plausibler Ablauf, bei dem der Sturz auf dem bloßen Verlust des Gleichgewichts ohne innere Ursache beruhen kann, nicht widerlegt ist.
Normenkette
VVG §§ 44, 178, 186; ZPO § 286
Verfahrensgang
LG Heidelberg (Urteil vom 11.04.2017; Aktenzeichen 2 O 394/17) |
Nachgehend
Tenor
Zum Sachverhalt (redaktionelle Bearbeitung):
Die Klägerin fordert von der Beklagten Leistungen aus einer Unfallversicherung.
Die Klägerin ist versicherte Person aus einer ursprünglich von ihrem - zwischenzeitlich verstorbenen - Ehemann bei der Beklagten abgeschlossen Unfallversicherung mit einer Invaliditätssumme von 74.000,- EUR. Als Voraussetzung sowohl für die Invaliditätsleistung als auch für die Unfallrente ist unter Ziff. 2.1.1.1 bzw. 2.2.1.1 der vereinbarten Versicherungsbedingungen (AUB 2000, Anlage BLD 1) jeweils folgendes bestimmt:
"Die versicherte Person ist durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt (Invalidität).
Die Invalidität ist
innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und
innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und von Ihnen bei uns geltend gemacht worden."
Unter Ziff. 5 AUB 2000 heißt es:
"5.1 Kein Versicherungsschutz besteht für folgende Unfälle:
5.1.1 Unfälle der versicherten Person durch Geistes- oder Bewusstseinsstörungen, auch soweit diese auf Trunkenheit beruhen, soweit durch Schlaganfälle, epileptische Anfälle oder andere Krampfanfälle, die den ganzen Körper der versicherten Person ergreifen."
Die Voraussetzungen für die Leistung des Krankenhaustagegeldes sind unter Ziff. 2.5.1 AUB 2000 wie folgt geregelt:
"Die versicherte Person befindet sich wegen des Unfalles in medizinisch notwendiger vollstationärer Heilbehandlung. (...)"
Die im Jahr 1947 geborene Klägerin stürzte am 1.3.2013 aus dem Fenster im zweiten Obergeschoss des damals von ihr und ihrem Ehemann bewohnten Anwesens. Sie erlitt durch den Sturz schwere Verletzungen, unter anderem erhebliche Bruchverletzungen. Sie befand sich vom 1.3.2013 bis 20.11.2013 wegen der Folgen in stationärer Krankenhausbehandlung.
Auf die Unfall-Schadenanzeige vom 5.3.2013 übersandte die Beklagte an den Ehemann der Klägerin ein Schreiben vom 8.3.2013, in welchem u. a. ausdrücklich auf die Frist von 15 Monaten für die schriftliche Feststellung der Invalidität durch einen Arzt, die Voraussetzung für eine Invaliditätsleistung sei, hingewiesen ist. Mit Schreiben vom 24.4.2013 lehnte die Beklagte eine Leistung aufgrund des Vorfalls mit der Begründung ab, dass es sich um einen Suizidversuch gehandelt habe.
Im September oder Oktober 2013 verstarb der Ehemann der Klägerin. Inzwischen lautet die Versicherung auf die Klägerin als Versicherungsnehmerin (Vertragsstandkopie vom 7.9.2015). Nach anwaltlicher Zahlungsaufforderung hielt die Beklagte mit Schreiben vom 15.11.2016 an ihrer Leistungsablehnung fest.
Die Klägerin hat vorgetragen, dass sie am 28.2.2013 zwischen 22.00 und 23.00 Uhr in der Küche im Parterre des von ihr und ihrem verstorbenen Ehemann bewohnten Anwesens auf einem Lehnstuhl eingeschlafen sei. Um ca. 4.30 Uhr sei sie aufgewacht, da ihr kalt geworden sei. Sie habe sich daraufhin in das zweite Obergeschoss in ihr Schlafzimmer begeben, habe sich dort jedoch nicht in ihr Bett legen können, da sie dieses am Tag zuvor abgezogen und die Matratze zum Lüften aufgestellt habe. Sie habe sich daraufhin im Schlafzimmer ihres Ehemannes zu diesem ins Bett gelegt. Nachdem ihr Ehemann über sie gestiegen sei, um zur Toilette zu gehen, sei sie zum Fenster gegangen, habe dieses geöffnet und sei auf den neben dem Fenster stehenden Sessel gestiegen, um etwas höher zu stehen und besser Luft zu bekommen. Sie habe Übergewicht bekommen und sei aus dem Fenster gestürzt.
Aufgrund der unfallbedingten dauerhaften Beeinträchtigungen habe sie einen Invaliditätsgrad von mindestens 60 % erlitten. Sie leide immer noch unter belastungsabhängigen Schmerzen, insbesondere nach Gehen und Stehen von mehr als 15 min, im Bereich der durchgeführten Osteosynthese der HWS; zum Einkaufen müsse sie einen Rollator nutzen. Auch leide sie unter rezidi...