Leitsatz (amtlich)

Bei einem im Dezmber 2007 beantragten und im Januar 2008 geschlossenen Versicherungsvertrag kann der VR die Rechte nach § 19 Abs. 2 bis 4 VVG nur ausüben, wenn der VN gem. § 19 Abs. 5 S. 1 VVG auf die Rechtsfolgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat

 

Tenor

Es wird festgestellt, dass der Krankenversicherungsvertrag, Versicherungsnummer 00.000.000/1/1, nicht wirksam durch die Vertragsänderung vom 21.04.2010 gemäß § 19 Abs. 4 Satz 2 VVG rückwirkend angepasst worden ist.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, unter Beachtung der Vertragsbedingungen die Behandlungskosten gemäß eingereichtem kieferorthopädischem Behandlungsplan (KFO) vom 02.10.2010 über 5307,78 Euro zu tragen hat.

Die Kosten des Rechtstreits trägt nach einem Streitwert von bis zu 7000 Euro die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbarem Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor in gleicher Höher Sicherheit leistet.

 

Tatbestand

Am 30.12.2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Krankenversicherung für ihre im Jahre 2000 geborene Tochter. Die Gesundheitsfragen wurden im Wesentlichen verneint, unter anderem diejenige nach einer Zahn- oder Kieferfehlstellung bzw. nach Durchführung oder Beabsichtigung einer kieferorthopädischen Behandlung. Die Beklagte nahm den Antrag im Jahre 2008 an. Ende April 2009 empfahl die die Tochter der Klägerin behandelnde Zahnärztin nach Anfertigung von Röntgenbildern die Konsultation einer Kieferorthopädin, die im Oktober 2009 die Einleitung einer kieferorthopädischen Behandlung empfahl. Den Behandlungsplan reichte die Klägerin bei der Beklagten ein, die im Zuge der Leistungsprüfung in Erfahrung brachte, dass die Tochter der Klägerin im April 2007 in zahnärztlicher Behandlung war. Wegen des dabei erhobenen Befundes sah die Beklagte die vorvertragliche Anzeigepflicht für verletzt und nahm mit Schreiben vom 21.04.2010 eine Vertragsanpassung in Form der rückwirkenden Einführung eines Leistungsausschlusses für die Behandlung von Zahn- und Kieferfehlstellungen vor und lehnte eine Kostenerstattung für die beabsichtigte KFO-Behandlung deshalb ab.

Die Klägerin sieht die vorvertragliche Anzeigepflicht nicht verletzt, da weder eine Zahnfehlstellung noch die Notwendigkeit einer kieferorthopädischen Behandlung bei Antragstellung bekannt gewesen sei, da noch ein Milchgebiss vorgelegen habe. Deshalb sollte nach dem Rat der behandelnden Zahnärztin im Jahre 2007 der Beginn des Zahndurchbruchs abgewartet werden, bevor über eine mögliche kieferorthopädische Behandlung entschieden werden sollte.

Mit der Klage begehrt die Klägerin Feststellung der Unwirksamkeit der Vertragsanpassung und der Kostenerstattungspflicht der Beklagten gemäß dem KFO-Plan vom 02.10.2010.

Die Klägerin beantragt,

  • 1.

    es wird festgestellt, dass der Krankenversicherungsvertrag, Versicherungsnummer 76.748.802/1/1, nicht wirksam durch die Vertragsänderung vom 21.04.2010 gemäß § 19 Abs. 4 Satz 2 VVG rückwirkend angepasst worden ist;

  • 2.

    es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, unter Beachtung der Vertragsbedingungen des streitgegenständlichen Krankenversicherungsvertrages die Kosten gemäß dem eingereichten kieferorthopädischen Behandlungsplan (KFO) vom 02.10.2010 in Höhe von 5307,78 Euro zu tragen hat.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer vorgerichtlich geäußerten Auffassung fest und verweist auf die tariflichen Leistungsbeschränkungen. Außerdem geht sie von Vorvertraglichkeit des Versicherungsfalles aus.

Das Gericht hat die Klägerin gemäß § 141 ZPO angehört und zur Vorvertraglichkeit ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 29.03.2012, wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf das Gutachten des Sachverständigen L vom 26.11.2011, wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Die von der Beklagten vorgenommene rückwirkende Vertragsanpassung in Form der Einführung eines Risikoausschlusses ist unwirksam, weil die Beklagte die Klägerin bei Antragstellung nicht auf die Rechtsfolgen einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat. Die Beklagte ist auch verpflichtet, im bedingungsgemäßen Umfang Kostenerstattung für eine kieferorthopädische Behandlung der Tochter der Klägerin gemäß KFO-Plan vom 02.10.2010 zu übernehmen, weil der Versicherungsfall während der Vertragslaufzeit eingetreten ist und somit keine Vorvertraglichkeit vorliegt.

1.

Die Beklagte war nicht berechtigt, gemäß § 19 Abs. 4 Satz 2 VVG eine Anpassung des geschlossenen Krankenversicherungsvertrages in Form der rückwirkenden Einführung eines Risikoausschlusses vorzunehmen, weil sie die Klägerin bei A...

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