Entscheidungsstichwort (Thema)

Privatversicherungsrecht. Strafrecht. Straßenverkehrsrecht. Strafprozessrecht/OWiG

 

Verfahrensgang

AG R. (Entscheidung vom 26.11.2009; Aktenzeichen 20 Cs 145/09)

StA Düsseldorf (Aktenzeichen 110 Js 1433/09)

 

Tenor

Das Urteil des Amtsgerichts R. vom 26.11.2009 wird aufgehoben.

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

 

Gründe

A.

Das Amtsgericht R. hat den Angeklagten mit Urteil vom 26.11.2009 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20 Euro verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von drei Monaten ausgesprochen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der Berufung vom 02.12.2009. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

B.

Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und den Feststellungen des Amtsgerichts suchte der Angeklagte am 03.02.2009 mit dem Lkw Mercedes-Benz seines Arbeitgebers Y. (amtliches Kennzeichen XXXXXXXXXXXXXXX) das Einkaufszentrum "Ratio" in R. auf und begab sich nach den Einkäufen mit zwei Einkaufswagen zu dem auf dem Parkplatz abgestellten Lkw. Beim Ausladen eines der Einkaufswagen soll sodann der andere Einkaufswagen selbständig ins Rollen geraten und gegen das in einer gegenüberliegenden Parklücke abgestellte Fahrzeug Alfa Romeo, amtliches Kennzeichen ZZZZZZZZZZZZZ, des J. W. geprallt sein. Dadurch soll an dem Pkw Alfa Romeo ein Sachschaden in Höhe von 1.496,78 Euro entstanden sein. Der Angeklagte habe sodann den Einkaufswagen, obwohl er die Beschädigung des Pkw Alfa Romeo wahrgenommen hatte, zurückgeholt und den Ort des Geschehens verlassen.

II.

Diese Feststellungen tragen, selbst wenn sie dem Angeklagten nachgewiesen werden könnten (vgl. § 267 Abs. 5, S. 1, 2. Alt. StPO: "die für erwiesen angenommene Tat"), eine Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gem. § 142 Abs. 1 StGB nicht. Da ausgeschlossen werden kann, dass eine Beweisaufnahme zu abweichenden Feststellungen geführt hätte, die Grundlage für eine Verurteilung hätten sein können, war der Angeklagte aus rechtlichen Gründen freizusprechen.

1.

Der Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort setzt einen Unfall im Straßenverkehr voraus. Dies ist jedes plötzliche Ereignis, das mit dem Straßenverkehr und seinen Gefahren ursächlich zusammenhängt und zu einem nicht völlig belanglosen Personen- oder Sachschaden führt (vgl. BGH, NJW 2002, 626, 627).

Vor diesem Hintergrund genügt nicht jedwede, im Sinne der Bedingungstheorie ursächliche Verknüpfung des Schadensereignisses mit einem Verkehrsgeschehen zur Annahme eines Unfalls im Straßenverkehr. Vielmehr setzt dies einen straßenverkehrsspezifischen Gefahrzusammenhang voraus. Es müssen sich in dem Verkehrsunfall gerade die typischen Gefahren des Straßenverkehrs verwirklicht haben (BGH, NJW 2002, 626, 627).

Gleichwohl werden von der überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung und im Schrifttum auch Kollisionen zwischen Einkaufswagen, rollbaren Müllcontainern etc. und einem geparkten Pkw als vom Tatbestand des § 142 StGB erfasst angesehen (vgl. OLG Koblenz MDR 1993, 366; OLG Stuttgart VRS 47 (1974), 15, 16; LG Berlin NStZ 2007, 100; LG Bonn, NJW 1975, 178; Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, StGB, 28. Aufl., 2010, § 142, Rn. 17; LK-StGB/Geppert, 11. Aufl., § 142, Rn. 25; Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl., 2007, § 142, Rn. 6; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., 2010, § 142 StGB, Rn. 4).

2.

Das Gericht vermag sich dieser Auffassung nicht anzuschließen (vgl. AG Tiergarten, NJW 2008, 3728; SK-StGB - Rudolphi/Stein, § 142, Rn. 12; MünchKomm-StGB/Zopfs, § 142, Rn. 34; NK-StGB/Schild, 2. Aufl., § 142, Rn. 39; ders. in AK-StGB, § 142, Rn. 99; Weigend, JR 1993, 115, 117, Fn. 23; vgl. auch Heghmanns, Strafrecht für alle Semester, Besonderer Teil, 2009, Rn. 527).

a)

Bereits der Gesetzeswortlaut legt - ausgehend von der allgemeinen Auffassung, dass es für das Merkmal eines "Unfalls im Straßenverkehr" jedenfalls nicht ausreicht, wenn sich der Vorfall im öffentlichen Verkehrsraum ereignet (BGH, NJW 2002, 626, 627) - eine Auslegung nahe, die Vorgänge, die keinen Zusammenhang mit der Fortbewegung wenigstens eines der Beteiligten mittels eines Fahrzeuges aufweisen, vom Tatbestand des § 142 StGB ausnimmt (vgl. SK-StGB - Rudolphi/Stein, § 142, Rn. 12; MünchKomm-StGB/Zopfs, § 142, Rn. 34; Heghmanns, a.a.O., Rn. 527). So mag es zwar etwa möglich sein, die Beschädigung eines Fahrzeuges beim Ein- und Aussteigen aus einem nebenstehenden Fahrzeug noch als Teil der Fortbewegung und somit als Unfall im Straßenverkehr zu begreifen (vgl. AG Berlin-Tiergarten, NJW 2008, 3728; MünchKomm-StGB /Zopfs, § 142, Rn. 34; vgl. auch OLG Stuttgart, NJW 1969, 1726: Hinunterklappen der Bordwand eines parkenden Lkw). Einen Vorgang wie den vorliegenden, der mit der Bewegung mittels der beiden - im weitesten Sinne - involvierten Fahrzeuge (des Pkw Alfa Romeo und des Lkw Mercedes-Benz) keinen Zusammenhang aufweist, sondern allein auf die Bewegung des Einkaufswage...

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