Entscheidungsstichwort (Thema)
Bandscheibenprotrusion. Reiserücktrittskostenversicherung. Reiserücktrittsversicherung. Rückenschmerzen. Unerwartete Erkrankung. Versicherungsbedingung
Leitsatz (amtlich)
Die wirksame Einbeziehung von Versicherungsbedingungen in einen Vertrag über eine Reiserücktrittskostenversicherung kann offen bleiben, wenn eine etwaige Regelungslücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung durch Anwendung marktüblicher Versicherungsbedingungen geschlossen werden kann.
Gegen die Wirksamkeit einer Versicherungsbedingung, wonach Versicherungsschutz im Rahmen einer Reiserücktrittskostenversicherung besteht, wenn die planmäßige Durchführung der Reise nicht zumutbar ist, weil die versicherte Person während der Dauer des Versicherungsschutzes von einer unerwarteten schweren Erkrankung betroffen wird, bestehen keine Bedenken.
Das Bestehen einer dem Versicherungsnehmer bekannten Grunderkrankung (hier: Bandscheibenprotrusion), die erfahrungsgemäß gelegentlich Akutbeschwerden (hier: Rückenschmerzen) verursachen kann, schließt den Versicherungsschutz für solche akuten Vorfälle nicht aus. Die Erkrankung ist vielmehr nur dann "unerwartet", wenn dem Versicherungsnehmer bei der Buchung der Reise nicht bekannt war, dass die Wahrscheinlichkeit des Auftretens akuter Beschwerden im unmittelbaren Vorfeld der geplanten Reise derart gesteigert sein werde, dass ein vernünftiger unversicherter Reisender in seiner Situation von der Reisebuchung abgesehen hätte (Anschluss BGH, VersR 2012, 89; OLG Hamm, VersR 2001, 1229).
Normenkette
BGB § 305c Abs. 2; VVG §§ 19 ff.
Verfahrensgang
AG Wesel (Entscheidung vom 01.12.2011; Aktenzeichen 5 C 89/11) |
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das am 01.12.2011 verkündete Urteil des Amtsgerichts Wesel (5 C 89/11) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen den Klägern zur Last.
Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst Bezug genommen auf das angefochtene Urteil (Bl. 93 ff. d. A.). Die Kammer hat den Kläger zu 2. informatorisch angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen E X. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle vom 22.06.2012 (Bl. 166 ff. d. A.) und 21.09.2012 (Bl. 241 ff. d. A.) verwiesen. Von einer weitergehenden Darstellung des Sach- und Streitstandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
II.
Die Berufung ist unbegründet.
Das Amtsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, weil kein von dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag über eine Reiserücktrittskostenversicherung gedeckter Versicherungsfall vorliegt. Versicherungsschutz kommt dem Grunde nach in Betracht, wenn ein - von den Klägern zu beweisender - Versicherungsfall im Sinne von Teil II. A. § 2 Ziff. 1. der Versicherungsbedingungen der Beklagten (Bl. 64 d. A.) vorliegt. Hiernach müsste die planmäßige Durchführung der Reise nicht zumutbar gewesen sein, weil eine versicherte Person - hier der Kläger zu 2. - während der Dauer des Versicherungsschutzes von einer unerwarteten schweren Erkrankung betroffen wurde.
1.
Ohne Erfolg rügt die Berufung, dass das Amtsgericht die wirksame Einbeziehung der Versicherungsbedingungen in den Vertrag offengelassen und die etwaige Regelungslücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung durch Anwendung der marktüblichen Versicherungsbedingungen geschlossen hat. Eine beispielhafte Internetrecherche (der Versicherungsbedingungen mehrerer in diesem Segment marktführender Versicherungsunternehmen) belegt, dass - entsprechend den von der Beklagten vorgelegten Musterbedingungen des H (Bl. 78 d. A.) - Erkrankungen im Rahmen von Reiserücktrittsversicherungen nur versicherbar sind, wenn sie unerwartet und schwer sind. Bezeichnenderweise vermögen die Kläger keinen Versicherer zu nennen, der einen weitergehenden Schutz anbietet.
2.
Dass die Beschwerden des Klägers - massive Schmerzen im LWS-Bereich mit radikulären Symptomen in beiden Beinen (vgl. die ärztliche Bescheinigung vom 14.02.2011, Bl. 22 d. A.) - eine schwere Erkrankung darstellen, hatte die im Namen der Beklagten tätige Maklerin bereits im Rahmen der vorprozessualen Korrespondenz ausdrücklich zugestanden. Soweit die Beklagte in der Klageerwiderung dennoch bestritten hat, das es dem Kläger nicht zumutbar gewesen sei, die Reise anzutreten, ist dies unbeachtlich, da die Unzumutbarkeit des Reiseantritts durch die Schwere der Erkrankung indiziert wird (vgl. Führich, Reiserecht, 6. Aufl. 2010, Rn. 821 f. m. w. N.) und die Beklagte keine Umstände vorgetragen hat, die die Durchführung der Reise gleichwohl zumutbar erscheinen ließ. Es ist allgemein bekannt, dass akute LWS-Beschwerden äußerst schmerzhaft sind und durch das mit der Reise einhergehende Tragen von Koffern und mehrstündige Sitzen in einem Flugzeug verschlimmert werden können.
3.
Den Kern des Streits bildet indessen die Frage, ob der Kläger von der Erkrankung auch unerwartet betr...