Leitsatz (amtlich)
Zur Aussetzung von Beschlüssen der Wohnungseigentümerversammlung im Wege einstweiliger Verfügung – hier bejaht für eine Vertragsstrafenregelung und verneint für eine Vogelfütterverbot
Verfahrensgang
AG Offenbach (Beschluss vom 06.07.2020; Aktenzeichen 320 C 70/20) |
Nachgehend
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde wird der Beschluss des AG Offenbach am Main vom 6. Juli 2020 teilweise abgeändert.
Die Vollziehung der Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 3. Juni 2020 zu TOP 2 wird, soweit dort beschlossen wurde „Für jedes verbotswidrige Vogelfüttern, ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 400 EUR an die Untergemeinschaft fällig” wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache einstweilen eingestellt.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Der Beschwerdewert wird auf bis zu 22.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Diese hat in der Gemeinschaftsordnung Untergemeinschaften gebildet, die eigene Versammlungen abhalten können und zuständig sind, für alle Angelegenheiten der jeweiligen Häuser, wobei ein Verweis auf die Angelegenheiten des § 21 Abs. 5 WEG erfolgt. In welchem Umfang Hausordnungen bereits vorhanden sind, ist zwischen den Parteien streitig.
Die Untergemeinschaft des Hauses, in dem die Antragsteller ihr Sondereigentum haben, hat folgenden Beschluss gefasst: „Das Füttern von Vögeln im Bereich der Untergemeinschaft … ist grundsätzlich verboten. Für jedes verbotswidrige Vogelfüttern, ist eine Vertragsstrafe in Höhe von 400 EUR an die Untergemeinschaft fällig. Sollten darüber hinaus auch noch Tauben gefüttert werden, kann jeder Bewohner dies bei der Stadtverwaltung … zur Anzeige bringen.”
Gegen diesen Beschluss haben die Antragsteller Anfechtungsklage erhoben. Im vorliegenden Verfahren begehren sie die Aussetzung des Beschlusses im Wege einstweiligen Rechtschutzes und stützen sich u.a. darauf, dass eine Kompetenz der Untergemeinschaft zur Beschlussfassung nicht bestanden habe, der Beschluss unbestimmt sei und eine Vertragsstrafe ohnehin nicht beschlossen werden könne.
Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen und sich zur Begründung maßgeblich darauf gestützt, dass ein Verfügungsgrund nicht vorliege, die Sache sei bereits deshalb nicht eilbedürftig, weil der Beschluss über die Vertragsstrafe nichtig sei und daher keine Zahlungspflichten der Antragsteller auslösen könne.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsteller. Die Beklagten, denen im Beschwerdeverfahren rechtliches Gehör gewährt wurde, beantragen die Zurückweisung der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
II.
Die sofortige Beschwerde ist statthaft, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 567 Abs.1 Ziff.2, 569 ZPO). Sie hat auch teilweise Erfolg.
Nach Auffassung der Kammer ist jedenfalls insoweit als in dem Beschluss eine Vertragsstrafenregelung enthalten ist, ein Verfügungsgrund gegeben, im Übrigen folgt die Kammer der Auffassung des Amtsgerichts.
Eine einstweilige Verfügung gemäß §§ 935 ff ZPO setzt einen Verfügungsgrund voraus. Die Regelung durch eine einstweilige Verfügung muss daher gemäß § 940 ZPO zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen.
Ob dies der Fall ist, ist im Falle der wie hier begehrten Außervollzugsetzung von Beschlüssen einer Eigentümerversammlung durch eine Abwägung der schutzwürdigen Interessen beider Seiten zu beurteilen. Ausgangspunkt ist dabei die Wertung des Gesetzgebers, dass auch fehlerhafte Beschlüsse einer Eigentümerversammlung bis zu ihrer Ungültigkeitserklärung durch ein Gericht grundsätzlich wirksam und vollziehbar sind, § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG. Die Anfechtungsklage hat also gerade keine aufschiebende Wirkung (BayObLGZ 1972, 246). Gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG ist der Verwalter deshalb regelmäßig gehalten, auch angefochtene Beschlüsse zu vollziehen. Das Gesetz misst dem Vollziehungsinteresse der Gemeinschaft mithin grundsätzlich ein größeres Gewicht bei als dem Aussetzungsinteresse der Miteigentümer, die den Beschluss anfechten. Die Vollziehung des Beschlusses für die Zeit des schwebenden Anfechtungsverfahrens kann angesichts dieser Wertung des Gesetzgebers nur dann per einstweiliger Verfügung ausgesetzt werden, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass im konkreten Einzelfall ausnahmsweise die Interessen der anfechtenden Miteigentümer überwiegen, etwa weil ihnen ein weiteres Zuwarten wegen drohender irreversibler Schäden nicht mehr zugemutet werden kann oder weil bei unstreitiger Sachlage und gefestigter Rechtsprechung die Rechtswidrigkeit des Beschlusses derart offenkundig ist, dass es hierfür nicht erst der umfassenden Prüfung durch ein Hauptsacheverfahren bedarf (LG München ZWE 2008, 490).
Bei der Abwägung sind insoweit auch grundrechtliche Erwägungen anzustellen, so dass eine Aussetzung erforderlich ist, wenn andererseits verfassungsrechtlich geschützte Rec...