Leitsatz (amtlich)
Ein Anspruch der Eigentümer auf persönliche Teilnahme an Eigentümerversammlungen besteht auch während der Corona-Pandemie. Es ist aber nicht zu beanstanden, wenn der Verwalter in der Einladung Vertretungsmöglichkeiten bewirbt und sich bei der Größe des angemieteten Saals an der zu erwartenden Teilnehmerzahl orientiert.
Auch bei Beschlüssen, deren Vollzug nur schwer wieder rückgängig zu machen ist (hier Fassadenanstrich), kommt dem Vollzugsinteresse grundsätzlich Vorrang vor dem Aussetzungsinteresse zu. Allerdings sind mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu berücksichtigen.
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des AG Kassel vom 27.08.2020 abgeändert. Die einstweilige Verfügung des AG Kassel vom 27.08.2020 wird aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 7.602,91 EUR
Tatbestand
I.
Im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren begehrt die Klägerin die Aussetzung eines im Hauptsacheverfahren angefochtenen Beschlusses, mit welchem ein Fassadenanstrich beschlossen wurde und stützt sich darauf, dass die Farben, die bei dem Anstrich zum Einsatz kommen sollen, gesundheitsschädlich seien, was sie durch eine Internetrecherche ermittelt habe. Der Verwalter hat angekündigt, den Beschluss ab September 2020 umzusetzen.
Zu der Versammlung lud die Hausverwaltung die 11 Eigentümer mit folgendem Text ein:
„Aufgrund der Größe der Sitzungsräume muss die Anzahl der anwesenden Eigentümer bei dieser Versammlung beschränkt werden (10 Personen inkl. Verwalter). Erteilen Sie deshalb möglichst dem Verwaltungsbeirat oder der Verwaltung die Vollmacht für die Teilnahme an der Versammlung. […] Der Verwalter behält sich vor, die Versammlung nicht durchzuführen, sofern die Höchstzahl der Anwesenden überschritten wird und keine einvernehmliche Regelung am Versammlungstag dazu getroffen werden kann.”
Das Amtsgericht hat dem Antrag stattgegeben, da der Beschluss nichtig sei, denn aus der Einladung ergebe sich, dass zwei Eigentümer nicht persönlich teilnehmen konnten, dies sei auch in der Corona-Pandemie ein nicht hinnehmbarer Eingriff in den Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte der Eigentümer.
Hiergegen richtet sich die Berufung der beklagten Eigentümer.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das Verfahren ist nach dem bisherigen Verfahrensrecht – gegen die übrigen Eigentümer (Kammer NZM 2018, 290) – weiter zu führen (§ 48 Abs. 5 WEG), materiell ist der gefasste Beschluss im Grundsatz nach dem bei Beschlussfassung geltenden Recht zu beurteilen (dazu Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kap. 14 Rn. 223), wobei bezüglich der sich hier stellenden Fragen eine Rechtsänderung ohnehin nicht eingetreten ist.
Der streitgegenständliche Beschluss ist zunächst nicht nichtig. Dabei kann dahinstehen, in welchen Fällen des Eingriffs in Mitwirkungsrechte der Eigentümer eine Nichtigkeit eines Beschlusses anzunehmen ist und wann lediglich von einer Anfechtbarkeit auszugehen ist (vgl. dazu jüngst BGH NZM 2020, 563 Rn. 18 für den Fall der Nichtladung eines werdenden Wohnungseigentümers; vertiefend Staudinger/Häublein § 23 WEG Rn. 252 ff.), denn die Einladung ist nicht zu beanstanden.
Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Amtsgerichts, dass auch in Zeiten der Corona-Pandemie ein Anspruch der Eigentümer auf eine persönliche Teilnahme an Eigentümerversammlungen besteht und es unzulässig ist, Versammlungen dahingehend zu beschränken, dass lediglich eine Teilnahme einzelner Personen gewährleistet wird und die übrigen Eigentümer Vollmachten zu erteilen haben oder gar von Vorneherein lediglich zu sog. Vertreterversammlungen geladen wird, bei denen sich die Eigentümer nur (üblicherweise vom Verwalter) vertreten lassen können. Denn die Eigentümer haben nicht nur das Recht, ihren Willen durch das Abstimmungsverhalten zum Ausdruck zu bringen, sondern auch durch Wortmeldungen auf der Versammlung die Mehrheit in Richtung der von ihnen gewünschten Willensbildung zu beeinflussen (Schmidt/Zschieschack, COVID-19, 2. Aufl., § 4 Rn. 25; AG Lemgo ZWE 2020, 480 mit Anm. Greiner). Demzufolge sieht der BGH in der Teilnahme an einer Versammlung auch eines der elementaren Kernrechte der Eigentümer (BGH NZM 2020, 653 Rn. 18).
In dieses Recht ist ein Eingriff durch die Einladung hier jedoch nicht erfolgt. Anders als das Amtsgericht meint, enthält die Einladung keine „Ausladung” einzelner Eigentümer (anders bei AG Lemgo ZWE 2020, 480, wo ausdrücklich darauf verwiesen wurde, nicht zu erscheinen), in der hier maßgeblichen Einladung ist lediglich darauf verwiesen worden, dass ein Versammlungssaal für 10 Personen angemietet wurde, zugleich ist auf die Erteilung von Vollmachten hingewiesen worden. Diese Vorgehensweise ist nicht zu beanstande...