Entscheidungsstichwort (Thema)

Duldungsanspruch auf Verlegung von Versorgungsleitung in fremdem Grundstück

 

Orientierungssatz

1. Versorgungsleitungen und Abwasserleitungen, die in Ausübung eines Duldungsanspruches aus NachbG HE § 30 in einem fremden Grundstück verlegt werden, bleiben im Eigentum des Anspruchsberechtigten, weil der Anspruch aus NachbG HE § 30 ein Recht am Grundstück im Sinne des BGB § 95 Abs 1 S 2 ist.

2. Die Verlegung der Leitung ohne vorherige Anzeige hat nicht den Verlust des Duldungsanspruches zur Folge.

 

Tatbestand

Der Kläger verlegte Ende 1973 von seinem Bauvorhaben in F., D. Straße 21a-e eine Abwasserleitung in die T.-Straße. Diese Leitung besteht aus Kunststoffkanalrohren mit einem Durchmesser von 25 cm und ist etwa 80-100 cm tief im Boden verlegt. Sie führt ua auch über das nicht eingezäunte Obstbaumgrundstück einer Frau S. . Der Kläger ließ die Abwasserleitung über dieses Grundstück verlegen ohne vorher die Genehmigung der Eigentümerin einzuholen.

Der Beklagte ist ein Mieter von Frau S. . Einige Wochen nach der Verlegung der Leitung war er auf dem Grundstück der Frau S. mit Gartenarbeit beschäftigt. Bei dieser Gelegenheit beschädigte er eines der Kanalrohre. Nachdem der Kläger den Schaden bemerkte, ließ er die Leitung durch die Firma R. & S. OHG, W., reparieren, die ihm für ihre Arbeit eine Rechnung über 706,33 DM ausstellte.

Anläßlich der Reparatur der Leitung kam es zwischen dem Kläger und Frau S. die ihm das Betreten des Grundstückes untersagte, zu einem Rechtsstreit, in dessen Verlauf der Kläger die Erlaubnis zur Instandsetzung der Leitung im Wege einer einstweiligen Verfügung erwirkte. In diesem Verfahren gab der Beklagte eine eidesstattliche Versicherung ab, in der er unter anderem ausführte:

"Bei dem Kirschbaum, dessen Wurzeln durch die Kanallegung beschädigt waren, sah ich, daß Wurzeln herausragten. Ich habe mich dann mit dem Baum befaßt und die Wurzeln eingewässert. Dazu habe ich den Boden auch aufgegraben und die Wurzeln eingebettet und eingegossen. Bei dieser Gelegenheit bin ich auch an das verlegte Rohr gekommen, daß durch Erde abgedeckt war.

Bei dieser Gelegenheit habe ich mit dem Spaten eines dieser kleinen Rohre getroffen, das Rohr ging dabei entzwei. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte angenommen, daß große Zementrohre verlegt waren".

Der Kläger verlangt vom Beklagten mit Zahlungsbefehl der diesem am 1.2.1975 zugestellt wurde, Erstattung der Reparaturkosten.

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe das Kanalrohr mutwillig zerstört.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn 706,33 DM nebst 14% Zinsen seit dem 15.1.1975 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat behauptet, er habe nicht gewußt, daß im Grundstück ein Kanal verlegt worden sei.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen.

Es hat ausgeführt, dem Kläger stehe gegen den Beklagten kein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs 1 BGB zu, da das Kanalrohr gemäß § 946 BGB in das Eigentum von Frau S. übergegangen sei. Dem Kläger stehe auch kein sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs 2 BGB zu und andere Ansprüche seien nicht ersichtlich.

Der Kläger hat gegen das am 4.6.1975 zugestellte Urteil am 1.7.1975 Berufung eingelegt und diese am 17.9.1975 begründet.

Er behauptet, er hätte eine Abwasserhebeanlage bauen müssen, wenn er die Leitung nicht durch das Grundstück der Frau S. gelegt hätte. Eine solche Anlage würde aber etwa 90.000,-- DM kosten, der verlegte Kanal habe nur rund 11.000,-- DM gekostet. Er ist der Meinung, daß keine wesentliche Beeinträchtigung des Grundstückes der Frau S. vorliege, so daß diese zur Duldung der Leitung gemäß § 30 Hessisches Nachbarrechtsgesetz verpflichtet sei. Dieser Duldungsanspruch sei ein sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs 2 BGB.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Beklagten und Berufungsbeklagten zu verurteilen, an ihn 706,33 DM nebst 14% Zinsen seit dem 15.1.1975 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er bestreitet das Vorliegen der Voraussetzungen des § 30 Hess Nachbarrechtsgesetz und ist der Meinung, daß der Kläger sich nicht auf diese Vorschrift berufen könne, da er seine Anzeigepflicht aus § 32 und § 24 Hess NachbarrechtsG verletzt habe.

Das Gericht hat die Akten 17 U 161/75 des OLG Ffm (2/7 O 131/75) beigezogen. Das in der Akte befindliche Gutachten des Bauingenieurs und Baumeisters R. S. vom 2.4.1975 (Bl 162ff dA) wurde zur Information der Kammer zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist an sich statthaft und formgerecht und fristgerecht eingelegt.

In der Sache selbst hat sie aber nur zum Teil Erfolg. Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz nur zur Hälfte zu.

Der Beklagte haftet dem Kläger wegen schuldhafter Verletzung des Eigentums an den Kanalrohren auf Schadensersatz (§ 823 Abs 1 BGB).

Trotz der Verbindung der Kanalrohre mit dem Grundstück von Frau S. stehen diese...

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