Leitsatz (amtlich)
In einer in der Teilungserklärung als Wohnung ausgewiesenen Einheit stört die Nutzung als Allgemeinarztpraxis regelmäßig mehr, als die typische Wohnnutzung.
Die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs ist verwirkt, wenn er über einen langen Zeitraum nicht geltend gemacht wird, selbst wenn den Eigentümern erst später bekannt wird, dass in der Allgemeinarztpraxis auch eine Methadonabgabe erfolgt.
Wird durch Patienten das Gemeinschaftseigentum beschädigt, haftet hierfür der Eigentümer neben dem Mieter, der die Arztpraxis betreibt.
Verfahrensgang
AG Rüsselsheim (Urteil vom 05.11.2020; Aktenzeichen 3 C 2178/19 (33)) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Rüsselheim vom 5.11.2020 im Kostenpunkt und insoweit abgeändert, als die Beklagten verurteilt worden sind, in der Wohnung … eine Arztpraxis zu betreiben und für jede Zuwiderhandlung Ordnungsmittel angedroht wurde. Insoweit wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil und das angefochtene Urteil im Umfang der Berufungszurückweisung sind vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht der jeweilige Vollstreckungsschuldner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 53.118 EUR
Tatbestand
I.
Die klagende WEG nimmt mit der Klage eines ihrer Mitglieder auf Unterlassung des Betriebs einer Arztpraxis in Anspruch, zudem wird der Anspruch gegen die Mieterin, welche die Praxis betreibt, geltend gemacht.
Die Teilungserklärung stammt aus dem Jahre 1994 und teilt u.a. in Wohnungen, von denen eine dem Beklagten zu 1) zusteht, dieser ist Ersterwerber und hat sein Eigentum bereits im Jahre 1994 erworben. Die Wohnung ist an die Beklagte zu 2), die Ehefrau des Beklagten zu 1) vermietet. Diese betreibt in der Wohnung seit 25 Jahren eine Arztpraxis, die Stadt … hat im Jahre 1995 die Nutzungsänderung der Wohnung genehmigt. In streitigem Umfang erfolgt auch eine Methadonvergabe in der Praxis.
Am 9.4.2019 kam es zu einem Vorfall, bei dem ein Patient randalierte und mehrfach gegen die Hauseingangstür und die Briefanlage trat.
Auf der Eigentümerversammlung vom 12.08.2019 beschlossen die Eigentümer, die Klägerin auf Unterlassung des Praxisbetriebes in Anspruch zu nehmen.
Sie sind der Auffassung, der Praxisbetrieb sei deutlich ausgeweitet worden, die Zahl der Patienten sei gestiegen, dies führe zu Beeinträchtigungen. Die Methadonvergabe sei neu, die Eigentümer hätten hiervon erstmals 2009 Kenntnis erlangt. An der Briefkastenanlage sei ein Schaden von 2.618 EUR entstanden, insoweit wird ein Angebot vorgelegt.
Die Beklagte meint, es sei zunächst ein Schlichtungsverfahren durchzuführen gewesen. Die Teilungserklärung stehe der Nutzung nicht entgegen, die Wohnung sei zum Betrieb einer Arztpraxis veräußert worden. Der Unterlassungsanspruch sei verwirkt, denn die Nutzung erfolge in den 25 Jahren im Wesentlichen in gleicher Art und Weise. Die Methadonvergabe sei Gegenstand einer Allgemeinpraxis und erfolge nur bei 5 % der Patienten, dies sei von Anfang an so gewesen. Der Vorfall mit dem randalierenden Patienten sei einzigartig, dieser sei kein Substitutionspatient gewesen.
Das Amtsgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen im Übrigen Bezug genommen wird, hat der Klage stattgegeben.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der diese ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiterverfolgen. ….
Die Klägerin, welche die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. …
Entscheidungsgründe
II.
Die Berufung hat überwiegend Erfolg.
1. Bedenken an der Zulässigkeit der Klage bestehen, wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht. Insbesondere war kein Schlichtungsverfahren nötig. Dies – neben der Tatsache, dass die Einwirkung von einem gewerblichen Betrieb ausgeht – schon deshalb nicht, weil nach der Rechtsprechung der Kammer für wohnungseigentumsrechtliche Unterlassungsansprüche ein Schlichtungsverfahren nicht erforderlich ist (Kammer ZMR 2018, 619; ZWE 2019, 380).
2. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG; § 1004 BGB iVm § 9a Abs. 2 WEG) besteht allerdings nicht.
a) Zu Recht hat das Amtsgericht allerdings entschieden, dass die Nutzung nicht der Teilungserklärung entspricht. In der Teilungserklärung wird – soweit hier von Interesse – für den Beklagten zu 1 Sondereigentum an „der Wohnung und an den Räumen im Aufteilungsplan bezeichnet mit Nr. 1 im Haus 1 im Erd- und Kellergeschoß” begründet. Bei der gebotenen objektiv-normativen Auslegung ist damit kein Teileigentum, sondern Wohneigentum iSv § 1 Abs. 2 WEG begründet worden. Dies ergibt sich eindeutig aus der Bezeic...