Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendige Konkretisierung des Kündigungsgrundes bei Eigenbedarfskündigung wegen des Wohnbedarfs eines nahen Angehörigen

 

Leitsatz (amtlich)

(abgedruckt in Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)

Die bislang unzureichende Wohnunterbringung eines nahen Angehörigen kann die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses durch den Vermieter rechtfertigen. Zur Identifizierung dieses Kündigungsgrundes reichen pauschale Werturteile wie "vielköpfige Familie", "völlig überbelegt" und "unzumutbare Wohnverhältnisse" aber nicht aus. Vielmehr sind schon im Kündigungsschreiben Angaben zu der Größe, der Lage und dem Zuschnitt des Wohnhauses, in dem der Angehörige nur unzureichend untergebracht sein soll, sowie zu der Anzahl und den Bedürfnissen der Bewohner erforderlich (Abgrenzung BVerfG, 1993-11-23, 1 BvR 697/93, NJW 1994, 310).

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rückgabe der von den Beklagten auf einem Anwesen der Kläger innegehaltenen Wohnung. Der Besitzüberlassung an die Beklagten liegt ein mit dem Voreigentümer des Anwesens geschlossener Mietvertrag zugrunde. Dieses Mietverhältnis kündigten die Kläger wegen Eigenbedarfs. Sie behaupten, die Wohnung für E. D., einen 21 Jahre alten Bruder, zu benötigen. Dieser habe eine feste Freundin, mit der er eine eigene Wohnung beziehen wolle. Deshalb solle ihm die Wohnung nach einer dringend notwendigen Sanierung zum ortsüblichen Mietzins zur Verfügung gestellt werden. Derzeit lebe der Bruder unter beengten Wohnverhältnissen noch im Hause der Eltern und müsse sich dort mit dem Kläger ein Schlafzimmer teilen.

Das AG Gießen hat die Klage abgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Rückgabe der Mietwohnung (§§ 556 Abs. 1, 985 f. BGB). Das Mietverhältnis wurde durch die Kündigung v. 1.9.1992 nicht beendet (§§ 564 Abs. 2, 564a Abs. 1, 565 Abs. 1, 2 BGB). Die Kläger haben kein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses (§ 564b Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB) dargelegt. Ihr Vortrag läßt nicht den Schluß zu, daß der Wunsch, die vermietete Wohnung für sich zu erlangen, um sie dem Bruder des Klägers zur Nutzung überlassen zu können, von vernünftigen und nachvollziehbaren Gründen getragen ist. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Das BVerfG hat bereits mehrfach entschieden, daß der Gesetzgeber das Kündigungsrecht des Vermieters auch in Fällen des Eigenbedarfs (§ 564b Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB) ohne Verfassungsverstoß von einem berechtigten Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses abhängig machen durfte (BVerfG WM 1992, 178 ff.; NJW 1989, 970 ff. (= WM 1989, 114); 1985, 2633 ff. (= WM 1985, 75)). ... Dabei obliegt es dem Vermieter, die Gründe für den geltend gemachten Eigenbedarf substantiiert darzulegen, während der Mieter zu beweisen hat, daß der Eigenbedarf nicht ernsthaft verfolgt wird, sondern vorgeschoben ist und mißbräuchlich erscheint (Baumgärtel, Beweislast I, 2. Aufl., § 564b Rz. 3-5).

Der Vortrag des Vermieters ist jedoch auf die im Kündigungsschreiben angegebenen Gründe beschränkt (§ 564b Abs. 3 BGB). Auch diese Abweichung von §§ 286, 525 ZPO hat das BVerfG in den Fällen des Eigenbedarfs bereits mehrfach einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen und für zulässig erachtet (BVerfG NJW 1992, 1877 f. (= WM 1993, 233); WM 1992, 178 ff., 1989, 483)). ... Nach dem Schutzzweck des § 564b Abs. 3 BGB soll der Mieter bereits aufgrund der Angaben im Kündigungsschreiben zumindest überschlägig überprüfen können, ob eine Rechtsverteidigung gegen die Kündigung Aussicht auf Erfolg hat. Dieser Zweck ist erfüllt, wenn der Mieter durch das Kündigungsschreiben die Gewißheit erlangt, daß alle dort nicht konkret identifizierten Lebensvorgänge im Räumungsprozeß von der Berücksichtigung als berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses (§ 564b Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB) ausgeschlossen sind und der Vermieter diese Gründe nur in einem neuen Kündigungsschreiben und unter Einhaltung der Kündigungsfrist (§ 565 BGB) geltend machen kann, soweit sie nicht nachträglich entstanden sind (BayObLG WM 1981, 200, 202). Nicht erforderlich ist es, einen im Kündigungsschreiben durch Angabe nicht austauschbarer Tatsachen bezeichneten Kündigungsgrund dort auch schon in einem dem § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügenden Umfang zu substantiieren.

Gemessen an den vorstehenden Anforderungen läßt der Klägervortrag nicht auf den geltend gemachten Eigenbedarf schließen.

Im Kündigungsschreiben der Kläger heißt es zum Eigenbedarf lediglich, die Wohnung werde dringend für den Bruder E. D. benötigt. Die Kläger lebten mit ihren Geschwistern, deren Familien und den Eltern in einem näher bezeichneten Wohnhaus, das durch die vielköpfige Familie völlig überbelegt sei. Wegen der Vielzahl der Bewohner, zum Teil Kleinkinder, herrschten dort unzumutbare Wohnverhältnisse. Das Anwesen mit der Wohnung der Beklagten hätten die Kläger gerade deswegen erworben, um dort selbst wohnen zu können und auch zwei Geschwistern angemessenen Wohnraum zur Verfügung st...

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