Entscheidungsstichwort (Thema)

Wohnraummiete: Eigenbedarfskündigung wegen des Wunschs nach repräsentativem Wohnsitz. Wohnraummiete: Bemessungsregel für zulässigen Wohnbedarf

 

Leitsatz (amtlich)

(abgedruckt in Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)

1. Zur Identifizierung des geltend gemachten Eigenbedarfs im Kündigungsschreiben sind keine Angaben zu einer unzureichenden Unterbringung der Bedarfsperson erforderlich, wenn die Kündigung nicht auf eine Wohnbedarfssituation im Sinne einer Mangellage gestützt wird, sondern auf den Wunsch nach einem repräsentativen, dem Lebenszuschnitt der Familie des Vermieters entsprechenden Wohnsitz.

2. Allgemeine Bemessungsregeln für die zulässige Höhe eines geltend gemachten Wohnbedarfs gibt es nicht, vielmehr ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen.

 

Orientierungssatz

(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)

1. Räumt der vermietende Eigentümer dem Angehörigen, zu dessen Gunsten die Eigenbedarfskündigung erklärt worden ist, den Nießbrauch an dem Wohngrundstück ein, so kann der Eigentümer den Räumungsprozeß weiterhin im eigenen Namen betreiben, muß aber den Herausgabeanspruch auf Leistung an den Nießbraucher umstellen.

2. Eine der Familientradition adäquate Wohnsitznahme kann den Eigenbedarf begründen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rückgabe der von der Beklagten auf einem Anwesen des Klägers im Gartenhaus der Klosteranlage K. innegehaltenen Wohnung. Der Besitzüberlassung an die Beklagte liegt ein mit dem Vater des Klägers als dessen Rechtsvorgänger begründetes Mietverhältnis zugrunde. Dieses Mietverhältnis kündigte der Kläger wegen Eigenbedarfs. Er behauptet, die Wohnung für seine Mutter, die Gräfin G., zu benötigen. Diese habe ihren Wohnsitz im Familienschloß F. traditionsgemäß aufgegeben, nachdem infolge Verheiratung die Rolle des ersten Repräsentanten der gräflichen Familie auf den Kläger übergegangen sei. Das Gartenhaus in K. sei nach Größe und Lage geeignet, die Nutzungswünsche des Klägers und seiner Mutter zu erfüllen.

Das AG Gießen hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Kündigung sei unwirksam. Weder könne aus den im Kündigungsschreiben angegebenen Gründen auf ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Beendigung des Mietverhältnisses geschlossen werden, noch seien nachträglich Kündigungsgründe entstanden.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Während der Kläger im ersten Rechtszug Herausgabe der Mietwohnung an sich selbst verlangt hatte, trägt er mit der Berufung unbestritten vor, nach Erlaß des angefochtenen Urteils seiner Mutter den Nießbrauch an dem Grundstück des Gartenhauses in K. übertragen zu haben. Er beantragt nunmehr die Herausgabe der Wohnung an die Mutter.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des AG führt zur Verurteilung der Beklagten in die Räumung der Wohnung.

Die Einzelrechtsnachfolge während des Prozesses - darunter fällt auch ein Erwerb minderer Rechtsstellung wie die Bestellung des Nießbrauchs zugunsten der Mutter - ändert nichts an der Prozeßführungsbefugnis des Klägers, der den Prozeß weiterhin in eigenem Namen betreiben kann (§ 265 Abs. 2 S. 1 ZPO), seinen Antrag aber wie geschehen auf Leistung an die Mutter als Rechtsnachfolger umstellen muß (vgl. Zöller-Stephan, ZPO,17. Aufl., § 265 Rz. 8).

Materiellrechtlich ist die Beklagte verpflichtet, die Wohnung an die Mutter des Klägers zurückzugeben (§ 556 Abs. 1 BGB). Diese ist durch die Bestellung des Nießbrauchs an Stelle des Klägers in die sich aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten eingetreten (§§ 571 Abs. 1, 577, 580 BGB). Das Mietverhältnis wurde durch die Kündigung des Klägers v. 23.4.1992 auch zum 30.4.1993 beendet (§§ 564 Abs. 2, 564a Abs. 1, 564b Abs. 1, 2 Nr. 2, Abs. 3, 565 Abs. 1, 2 BGB). Unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen (§ 286 Abs. 1 S. 1 ZPO) steht zur Überzeugung der Kammer fest, daß der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat, weil er die Wohnung für seine Mutter benötigt. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Das BVerfG hat bereits mehrfach entschieden, daß der Gesetzgeber das Kündigungsrecht des Vermieters auch in Fällen des Eigenbedarfs (§ 564b Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB) ohne Verfassungsverstoß von einem berechtigten Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses abhängig machen durfte (BVerfG WM 1992, 178 ff.; NJW 1989, 970 ff. (= WM 1989, 114); 1985, 2633 ff.(= WM 1985, 75)). Eine Kündigung gegenüber dem Mieter, die sich nicht mit berechtigten Interessen begründen läßt, genießt angesichts der sozialen Bedeutung der Wohnung keinen Schutz. Andererseits stellt § 564b Abs. 2 Nr. 2 BGB sicher, daß die grundgesetzlichen Zuordnungsverhältnisse gewahrt und Eingriffe in die Substanz der Eigentumsgarantie ausgeschlossen bleiben (BVerfG NJW 1989, 970, 971 (= WM 1989, 114)). Zur Substanz des Eigentums gehört auch die Freiheit des Eigentümers, die vermietete Wohnung fortan selbst zu nutzen oder durch den - eng gezogenen - Kreis privilegierter Dritter nut...

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