Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachträgliche Unwirksamkeit einer Eigenbedarfskündigung bei anderweitiger Deckung des Wohnbedarfs
Orientierungssatz
(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)
1. Entfällt der zugunsten der Tochter gemachte Eigenbedarf, weil sie vor Ablauf der Kündigungsfrist eine für den Sohn des Vermieters vorgesehene Wohnung bezieht, so wird die Kündigung unwirksam, es sei denn, der Bedarf der tochter würde nicht auf Dauer in der dem Sohn zugedachten Wohnung gedeckt.
(von der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofes)
2. Bei einem Kündigungsgrund mit Zukunftswirkung wie dem Eigenbedarf müssen die maßgebenden materiellen Voraussetzungen wenigstens bis zu dem Zeitpunkt vorliegen, in dem die Kündigung Wirkung entfalten soll (vergleiche LG Düsseldorf, 1986-11-25, 24 S 360/86, WuM 1988, 111).
Tatbestand
(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)
Am 28.12.1978 vermietete die Rechtsvorgängerin der Klägerin der Beklagten eine 2-Zimmer-Wohnung mit Nebenräumen im 1. Stock des Hauses für einen Mietzins von 134,49 DM/mtl. zzgl. Betriebskosten von 35,51 DM/mtl.
Die Klägerin kaufte die Wohnung und wurde am 29.7.1988 als Eigentümer ins Grundbuch eingetragen. Unter dem 1.8.1988 kündigte die Klägerin und begründete dies damit, daß sie die Wohnung zur Unterbringung ihrer 23jährigen Tochter benötige, die in einem Zimmer mit einer Fläche von 10 qm in der elterlichen Wohnung nur unzureichend untergebracht sei.
Im Räumungsprozeß trug die Klägerin vor, sie benötige die Wohnung weiterhin für ihre Tochter, obwohl diese inzwischen in eine andere, ihr, der Klägerin, gehörende Wohnung im selben Haus gezogen sei, die sie jedoch erworben habe, um ihren Sohn unterzubringen, der sie nur im Augenblick noch nicht übernehmen könne.
Entscheidungsgründe
Die Kündigung v. 1.8.1988 ist materiell nicht wirksam; denn die Kammer vermag nicht anzuerkennen, daß der Klägerin ein Eigenbedarf i.S. von § 564b Abs. 2 Nr. 2 BGB zur Seite stand. Sie hat die Kündigung darauf gestützt, daß sie die herausverlangte Wohnung für ihre 23jährige Tochter benötige, die noch in der elterlichen Wohnung lebe und dort ein etwa 10 qm großes Zimmer zur Verfügung habe. Die Tochter studiere an der Universität Hamburg Rechtswissenschaft und wolle anschließend das Referendariat in Hamburg ableisten. Ein derartiger Grund stellt ein vernünftiges Erlangungsinteresse i.S. des RE des BGH v. 20.1.1988 (MDR 1988, 489 = WM 1988, 47) dar, was auch dem Beschluß des BVerfG v. 14.2.1989 (DWW 1989, 46 = WM 1989, 114) entspricht. Indes ist dieser Bedarf inzwischen weggefallen, nachdem die Tochter der Klägerin eine andere gleichwertige - allerdings ihrem Bruder zugedachte - Eigentumswohnung der Klägerin im gleichen Hause bezogen hat. Da dieser Umzug noch vor Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt ist, ist die Kündigung unwirksam geworden; denn bei einem Kündigungsgrund mit Zukunftswirkung wie dem Eigenbedarf müssen die maßgebenden materiellen Voraussetzungen wenigstens bis zu dem Zeitpunkt vorliegen, in dem die Kündigung Wirkung entfalten soll (vgl. MK-Voelskow, 2. Aufl., § 564b BGB Rn. 70; Sternel, Mietrecht, 3. Aufl., IV 113, 136; für Verwirkung: Emmerich-Sonnenschein, Miete, 3. Aufl., § 564b BGB Rn. 42b; dagegen für Rechtsmißbrauch: Schmidt-Futterer/Blank, Wohnraumschutzgesetze, 5. Aufl., B 38; wohl auch LG Düsseldorf WM 1988, 111; offengelassen von OLG Karlsruhe - RE v. 7.10.1981 - RES § 564b BGB Nr. 10 (= WM 1982, 11)).
Der Umzug der Tochter hätte deren Eigenbedarf allenfalls dann nicht berührt, wenn es sich nur um eine Übergangslösung gehandelt hätte, durch die der Bedarf der Tochter nicht auf Dauer hätte gedeckt werden können. Davon kann nach dem Vorbringen der Klägerin nicht ausgegangen werden. Als die ihrem Sohn zugedachte Wohnung frei wurde, wollte oder konnte dieser sie ausbildungsbedingt nicht beziehen und ließ daher seiner Schwester den Vortritt. Daß diese Wohnung für sie nicht oder erheblich schlechter geeignet war als die herausverlangte Wohnung, ist nicht ersichtlich.
In Betracht zu ziehen war aber, ob eine nur vorübergehende Bedarfsdeckung der Tochter nicht deshalb angenommen werden mußte, weil der Sohn seinerseits alsbald einen eigenen Wohnbedarf haben konnte. Aber auch diese Überlegung vermochte der Kündigung nicht zum Erfolg verhelfen. Zum einen erscheint es fraglich, ob es sich hierbei nicht um ein unzulässiges Auswechseln der Bedarfsgründe handelt (vgl. § 564b Abs. 3 BGB). Zum anderen liegen keine Umstände vor, die den Bedarf des Sohnes erkennen lassen. Er wohnt - wie der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin im Termin v. 18.7.1989 ausgeführt hat - nicht mehr bei seinen Eltern, sondern bewohnt ein kleines, winterfestes Wochenendhaus mit 1 1/2 Zimmern in Hamburg-Poppenbüttel. Daß er nicht angemessen untergebracht ist oder daß er seinerseits einen Bedarf an der von seiner Schwester bewohnten Wohnung hat, ist nicht ersichtlich. Auf einen in Zukunft liegenden, noch nicht konkreten Bedarf kommt es nicht entscheidend an.
Fundstellen