Entscheidungsstichwort (Thema)

Ungerechtfertigte Härte bei Eigenbedarfskündigung eines 83 jährigen Mieters

 

Orientierungssatz

(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)

1. Die mit einer Beendigung des Mietverhältnisses verbundenen Belastungen für den Mieter dürfen nicht zu einer Gefahr der Gesundheitsbeeinträchtigung führen. Im Falle der Gefährdung ist die Räumungsklage abzuweisen und das Mietverhältnis fortzusetzen.

(von der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofes)

2. Auch bei einer berechtigten Eigenbedarfskündigung ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der das Recht des Vermieters seine eigene Lebensführung zu gestalten (hier: durch Aufnahme seiner 69 jährigen Mutter im Wohnhaus) mit den Interessen den Mieters verglichen wird.

3. Zugunsten des 83-jährigen Mieters spricht hier dessen lange Verwurzelung aufgrund einer Wohndauer von 43 Jahren sowie dessen hohes Alter. Entscheidend aber ist darüberhinaus, daß ein erzwungener Wohnungswechsel bei dem herzkranken Mieter zu einer erheblichen Gesundheitsgefährdung führen würde.

4. Die Belastungen die für den Mieter mit der Beendigung des Mietverhältnisses verbunden sind dürfen nicht zu einer Gefahr der Gesundheitsbeeinträchtigung führen. Insoweit sind auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes zu beachten (vergleiche BVerfG, 1985-01-08, 1 BvR 792/83, BVerfGE 68, 361; BVerfG, 1979-10-03, 1 BvR 614/79, BVerfGE 52, 214 und BVerfG, 1988-01-18, 1 BvR 787/87, WuM 1988, 46).

5. Bei einer zu befürchtenden Gesundheitsgefährdung ist eine Räumungsklage abzuweisen und das Mietverhältnis fortzusetzen.

 

Gründe

(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)

Die zulässige Berufung der Kläger ist unbegründet.

Mit dem AG kann davon ausgegangen werden, daß den Klägern ein Eigenbedarf i.S. von § 564b Abs. 2 Nr. 2 BGB zur Seite steht, weil die herausverlangte Wohnung der 69 Jahre alten Mutter des Klägers zu 2) zur Verfügung gestellt werden soll, die beabsichtigt, von den USA nach Hamburg zu ihrem Sohn zu übersiedeln.

Zu Recht hat das AG jedoch die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit gemäß § 556a BGB angeordnet. In rechtlicher Hinsicht verkennen die Kläger, daß die letztere Bestimmung keine Ausnahmeregelung beinhaltet, sondern das gleichwertige Gegenstück zur Kündigungsbefugnis des Vermieters in § 564b BGB darstellt. Soweit sich die Kläger auf ältere Literatur und Rechtsprechung beziehen, bleibt unberücksichtigt, daß die Sozialklausel mehrfachen Änderungen zugunsten des Bestandsschutzes des Mieters unterworfen worden ist, zuletzt durch Gesetz v. 4.11.1971 (BGBl. I 1745).

Die Interessenabwägung des AG ist nicht zu beanstanden. Hierbei sind die Gewichte der Interessen zu ermitteln und einander gegenüberzustellen. Für den Kläger zu 2) spricht das Recht, unter Nutzung seines Eigentums die eigene Lebensführung so zu gestalten, wie er dies für richtig hält, indem er seine Mutter, ihrem Wunsch entsprechend, in seiner Nähe in Hamburg wohnen lassen will (vgl. BVerfGE 68, 361 = WM 1985, 75, 77). Zugunsten der Beklagten spricht die Verwurzelung in der Wohngegend; denn sie wohnen in dem Wohnviertel seit 1945. Die Feststellung dieses Härtegrundes geht über die lange Wohndauer hinaus; denn die Verwurzelung ist auch auf das soziale Umfeld des Mieters bezogen und nur im Zusammenhang mit seinen weiteren Verhältnissen festzustellen. Hier tritt zu der langen Wohndauer das hohe Alter des Beklagten, der im 83sten Lebensjahr steht, hinzu. Das Wohnungseigentum der Beklagten in der I.-Straße liegt zwar in einer vergleichbaren Wohngegend, ist aber unbestrittenermaßen nur 33 bis 56 qm groß und damit als Ersatzwohnraum nicht geeignet. Aus den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen folgt, daß der Beklagte zu 1) erheblich herzkrank ist und unter Angina-Pectoris-Anfällen leidet, so daß ein erzwungener Wohnungswechsel zu einer Gefährdung des Gesundheitszustandes führen würde. Diese Aussage, die nicht in die bloße Möglichkeitsform gekleidet ist, ist ebenfalls im Zusammenhang mit dem erwähnten hohen Alter des Beklagten zu 1) zu sehen. Nach dem Beschluß des BVerfG v. 3.10.1979 (BVerfGE 52, 214f. = WM 1980, 27, 28) hat das Gericht bei der Interessenabwägung auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes zu beachten, insbesondere ob und in welchem Umfang Grundrechtsbeeinträchtigungen zu befürchten sind. Dies soll gerade auch bei der Gefahr von Gesundheitsbeeinträchtigungen geboten sein. Die zu § 765a ZPO ergangene Entscheidung verdient auch im Rahmen des § 556a BGB Beachtung; denn das ihr zugrundeliegende Prinzip der Verhältnismäßigkeit ist nicht auf die Zwangsvollstreckung beschränkt, sondern gilt gleichermaßen für das Erkenntnisverfahren (vgl. dazu auch BVerfG-Beschluß v. 18.1.1988 - WM 1988, 46). Bei der Abwägung des Rechts auf freie Lebensgestaltung einerseits und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit andererseits ist letzterem der Vorzug einzuräumen. Weil nicht zu ersehen ist, ob und wann sich die Umstände in der Person des Beklagten zu 1) dahin ändern, daß ihm ein nicht gewollter Umzug gesundheitlich...

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