Verfahrensgang
AG Gifhorn (Urteil vom 27.08.1992; Aktenzeichen 13 C 609/91) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 27. August 1992 verkündete Urteil des Amtsgerichts Gifhorn wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Tatbestand
Von der Darstellung eines Tatbestands wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist unbegründet.
Die Geltendmachung der gemäß § 4 Abs. 1 LFZG auf die Klägerin übergegangenen Lohnfortzahlungsansprüche ist nicht durch den Abfindungsvergleich, den die Beklagte mit dem geschädigten Arbeitnehmer der Klägerin, dem Zeugen …, geschlossen hat, ausgeschlossen.
Zwar spricht der Wortlaut der Abfindungserklärung vom 14.10.1987, in der sich der Geschädigte „wegen aller bisherigen und künftigen Ansprüche aus dem Schadenereignis … für endgültig abgefunden” erklärt hat, für eine Abgeltung sämtlicher, also auch der Lohnfortzahlungsansprüche.
Die Abfindungsvereinbarung bedarf jedoch der Auslegung. Diese ist erforderlich und zulässig, weil der Wortlaut der Erklärung vom 14.10.1987 nur scheinbar eindeutig ist.
Denn die Erklärung umfaßt in Wahrheit die Lohnfortzahlungsansprüche des Geschädigten nicht. Dies ergibt sich aus mehreren Anhaltspunkten:
Den Schreiben des Anwalts des Geschädigten vom 22.9.1987 und 14.10.1987 sowie dem Schreiben der Beklagten vom 9.10.1987, die sämtlich der Abfindungserklärung zeitlich vorausgegangen sind, ist eindeuting zu entnehmen, daß der Geschädigte und die Beklagte ausschließlich über Sachschaden, Schmerzensgeld und die Abgeltung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit verhandelt haben. Etwaige Lohneinbußen sind – und insoweit liegt der Fall anders als der der Entscheidung des BAG vom 7.12.1988 (5 AZR – 757/87) zugrundeliegende Sachverhalt – überhaupt nicht, und zwar auch nicht als „nicht voraussehbare Schäden” Gegenstand der Verhandlungen gewesen. Weder die Beklagte noch der Geschädigte haben die mögliche Entstehung von Lohnfortzahlungsansprüchen ausdrücklich erwähnt oder auch nur erkennbar in Betracht gezogen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit kann entgegen der Auffassung der Beklagten mit diesen Ansprüchen nicht gleichgesetzt werden. Dies folgt schon daraus, daß es sich hierbei um eine abstrakte Rechengröße handelt, die über den Umfang tatsächlicher Lohneinbußen infolge eines schädigenden Ereignisses nichts aussagt.
Nach diesem Verlauf der Verhandlungen, wie er sich in den zitierten Schreiben darstellt, konnte auch die Beklagte verständigerweise nicht davon ausgehen, daß der Geschädigte … ohne jegliche diesbezügliche Verhandlung oder nur Erörterung auch über Lohnfortzahlungsansprüche verfügen wolte. Dies gilt umso mehr, als zum einen diese Ansprüche und die Haftung der Beklagten dafür jeglicher Unsicherheit entzogen waren und ein Vergleich insoweit für … weder erforderlich noch sinnvoll war, zum anderen auch deshalb, weil schon wegen der Sanktion des § 5 Nr. 2 LFZG, die herbei zuführen … keinerlei Anlaß hatte, an die Eindeutigkeit einer auf Lohnfortzahlungsansprüche gerichteten Abfindungserklärung hohe Anforderungen zu stellen sind, die im vorliegenden Fall nicht erfüllt sind. Hinzu tritt, daß die Klägerin bereits mit ihrem Schreiben vom 8.11.1985, also etwa 2 Jahre vor der Abfindungserklärung des Geschädigten, die Beklagte zur Erstattung bereits geleisteter Lohnfortzahlungsbeträge in Höhe von 6.497,82 DM aufgefordert und von ihr das Anerkenntnis begehrt hatte, daß auch der durch Wiedererkrankung künftig auf die Klägerin übergehende Schaden von der Beklagten ausgeglichen würde. Wenn in dieser Situation Lohnfortzahlungsansprüche bei den Verhandlungen über eine Abfindung nicht erwärmt werden, deutet auch dies darauf hin, daß die ihrem Wortlaut nach scheinbar eindeutige Abfindungserklärung von beiden Parteien nicht in dem Sinne verstanden worden ist, daß Lohnfortzahlungsansprüche mit abgegolten sein sollten.
Schließlich ist bei der Auslegung der Abfindungserklärung auch die Höhe der Abfindungssumme zu berücksichtigen. Sie ist nach dem Inhalt der bereits zitierten Schreiben zugeschnitten gewesen auf die Abgeltung von Sachschaden, Schmerzensgeld und Minderung der Erwerbsfähigkeit und war nicht geeignet, die möglichen erheblichen Lohnfortzahlungsansprüche angemessen abzugelten. Der Umstand, daß die Beklagte sich der Forderung des Geschädigten nach einer Erhöhung der angebotenen Abfindung von 8.000,00 DM auf 10.000,00 DM gebeugt hat, fällt insoweit nicht durchgreifend ins Gewicht, weil der Geschädigte schon den Schmerzensgeldanspruch mit 8.000,00 DM beziffert und die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 9.10.1987 nur bzgl. dieses Teilanspruchs versucht hatte, durch Hinweis auf einschlägige Rechtsprechung eine Reduzierung zu erreichen, während sie dem mit etwa 2.700,00 DM bezifferten Sachschaden nicht entgegengetreten war.
Die Kostentscheidung für das Berufungsverfahren richtet sich nach § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen