Leitsatz (amtlich)
Die Entscheidung, bereits erworbene Wertpapiere nicht zu veräußern, sondern weiter zu halten, steht bei wirtschaftlicher Betrachtung einer Erwerbsentscheidung gleich. Gibt der Anlageberater eine Empfehlung zum Halten oder Verkauf eines Papieres ab, kommt in gleicher Weise stillschweigend ein Anlageberatungsvertrag zustande wie beim Erwerb eines Papieres. Im Fall von Beratungsfehlern kann der Anleger, der die Papiere hält, verlangen, so gestellt zu werden, als hätte er die Papiere unmittelbar nach dem Beratungsgespräch veräußert. Bei Kursrückgängen besteht ein Schadensersatzanspruch nur in Höhe der Erlöse, die bei unverzüglicher Veräußerung (noch) erzielt worden wären.
Tenor
1.)
Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 41.938,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 21. Juni 2009 zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückübertragung folgender Wertpapiere:
a.
Inh.Teilschuldverschreibung .... 2006 (2014),..., nominal 20.000,00 EUR;
b.
Genussschein der ..., ..., nominal 16.000,00 EUR
c.
Inhabergenussscheine ...2005 (unbegrenzt), ..., nominal 5.000,00 EUR
d.
Inhabergenussschein ..., nominal 5.700,00 EUR.
2.)
Es wird festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Rücknahme der in Ziffer 1 genannten Wertpapiere im Annahmeverzug befindet.
3.)
Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Kläger vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.878,30 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 15. Oktober 2009 zu zahlen.
4.)
Hinsichtlich des weiter geltend gemachten Schadens sowie der weiteren Rechtsverfolgungskosten wird die Klage abgewiesen.
5.)
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger 10 %, die Beklagte 90 %.
6.)
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Die klagenden Eheleute nehmen das beklagte Wertpapierhandelshaus auf Schadensersatz wegen behaupteter Verletzung eines Anlageberatungsvertrages in Anspruch. Die Beklagte, ein Wertpapierhandelshaus, betreibt gewerbsmäßig Anlageberatung und ist im Besitz einer entsprechenden Erlaubnis nach dem Wertpapierhandelsgesetz. Sie bietet in Zusammenarbeit mit einem Kreditinstitut, der ..., u.a. hochverzinsliche Tagesgeldkonten sowie Anlageberatung und Vermögensverwaltung an. Die Kläger standen mit der Beklagten in laufender Geschäftsbeziehung wegen der Anlage von Geldbeträgen.
In einem Telefonat vom 20.12.2005 wurde der Risikoanalysebogen, den die Beklagte für ihre Kunden erheben musste, aktualisiert (Anlage B 1, Bl. 43 d. A.). Dabei stufte sich der Kläger in die Risikostufe 4 ein. Diese wird beschrieben mit den Worten:
"Anlageziel: Meine hohen Ertragserwartungen verbinde ich mit einer hohen Risikobereitschaft.
Risiken: Starke Verluste in bestimmten Marktphasen sind möglich.
Chance: Bewirtschaftung einer langfristig hohen Rendite."
Die nächst höhere Risikoklasse, in die der Kläger sich nicht eingruppierte, wäre die Risikoklasse 5 gewesen.
Diese ist wie folgt beschrieben:
"Anlageziel: Meine sehr hohen Ertragserwartungen verbinde ich mit einer sehr hohen Risikobereitschaft.
Risiken: Nicht kalkulierbare Verlustrisiken bzw. Totalverlustrisiko.
Chance: Erwirtschaftung einer sehr hohen Rendite."
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Risikoanalysebogen (Anlage B1, Bl. 43 d.A.) Bezug genommen. In dem Telefonat äußerte der Berater der Beklagten, ein Totalverlustrisiko gebe es nur in Stufe fünf.
Nach einem Telefonat mit einem Berater der Beklagten erwarben die Kläger zunächst am 22. März 2006 Genussscheine der Firma ... ... im Umfang von nominal 10 000,00 EUR. Hierfür entstanden ihnen Kosten in Höhe von 10 251,00 EUR (Anlage K 10, Bl. 27 d. A.). Am 16.05.2006 verkauften sie einen Teilbetrag von nominal 5 000,00 EUR dieser Wertpapiere. Hierdurch flossen ihnen Verkaufserlöse in Höhe von 5 254,61 EUR wieder zu (Anlage K 11, Bl. 28 d. A.). Die restlichen nominal 5 000,00 EUR halten die Kläger weiterhin im Depot. Hierauf flossen ihnen Ausschüttungen für die Jahre 2006 und 2007 in Höhe von jeweils 425,00 EUR zu (Bl. 57 d. A.).
Nach einem weiteren Telefonat mit einem Berater der Beklagten betreffend Genussscheine der Firma ... ..., in welchem die Chancen und Risiken dieser Anlage erörtert wurden, erwarben die Kläger am 5. September 2006 diese Genussscheine im Umfang von nominal 5 700,00 EUR. Hierfür entstanden ihnen Aufwendungen in Höhe von insgesamt 6 048,08 EUR (Anlage K 12, Bl. 29 d. A.). Sie erhielten hierauf Ausschüttungen in den Jahren 2007, 2008 und 2009 in Höhe von jeweils 541,50 EUR (Bl. 57 d. A.). Die Wertpapiere halten sie weiterhin.
Nach einem Anruf durch einen Berater der Beklagten, in dem dieser den Klägern die Inhaberschuldverschreibung der Firma ... (...) empfahl ..., erwarben die Kläger am 19. März 2007 vorgenannte Anleihen im Umfang von nominal 20 200,00 EUR zum Kurs von 99 %. Hierfür entstanden ihnen Kosten in Höhe von 20 211,94 EUR (Anlage K 1, Bl. 7 d. A.). Sie erhielten Ausschüttungen in Höhe von 909,00 EU...