Leitsatz (amtlich)
1. Die Grundsätze der Rechtsprechung zur Aufklärungspflicht von Kreditinstituten im Rahmen eines Anlagenberatungsvertrages gelten in gleicher Form für alle Wertpapierdienstleistungsunternehmen i.S.v. § 2 Abs. 4 WpHG.
2. Wird einem Anleger, der sich in Risikoklasse 2 (von 5) einstuft und die Möglichkeit kurzfristiger moderater Kursschwankungen in Kauf nimmt mit der Maßgabe, dass mittel/langfristig ein Vermögensverlust unwahrscheinlich sei, von einem Anlageberater ein Fonds empfohlen, dessen Kurs in der Folgezeit um 70 % fällt, ist die Anlageempfehlung nicht vertretbar.
3. Ein krasser Anlageberatungsfehler liegt vor, wenn einem Anleger, der explizit keinerlei Risiko eingehen will, von einem Anlageberater ein börsengehandelter Genussschein nicht vertretbar.
Tenor
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 17.815,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p. a. über dem jeweiligen Basiszins aus EUR 17.815,93 ab dem 1.10.2009 zu zahlen, Zug um Zug gegen die Abtretung der Ansprüche aus nominal 15.600 EUR ... 2007/31.12.2027 mit der amtlichen ....
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 4.109,56 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p. a. über dem jeweiligen Basiszins aus EUR 4.109,56 ab dem 1.10.2009 zu zahlen.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft über die Höhe der angenommenen Zuwendungen Dritter im Zusammenhang mit der Vermittlung von
a.
den Fondsanteilen ..., gekauft am 6.11.2006 zu einem Kaufpreis von 25.001,84 EUR;
b.
..., gekauft am 24.4.2008 zu einem Kaufpreis von EUR 10.331,06;
c.
..., gekauft am 29.4.2008 zu einem Kaufpreis von 10.703,69 EUR
zu geben.
4.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.109,50 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p. a. über dem jeweiligen Basiszins seit dem 19.11.2009 zu zahlen.
5.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.253,71 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p. a. über dem jeweiligen Basiszins seit dem 19.11.2009 zu zahlen.
6.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Gegenleistung zu Ziffer 1 im Annahmeverzug befindet.
7.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
8.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
9.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz wegen behaupteter Verletzung eines Anlageberatungsvertrages. Bei der Beklagten handelt es sich um ein Wertpapierhandelshaus, welches in Zusammenarbeit mit einem Kreditinstitut, der ..., hochverzinsliche Tagesgeldkonten anbot sowie gewerbsmäßig insbesondere Anlage- und Vermögensberatung. Sie war im Besitz einer entsprechenden Erlaubnis nach dem WpHG.
Die im Jahre 1939 geborene Klägerin eröffnete bei der Beklagten zunächst ein Tagesgeldkonto (sog. Zins-Plus-Konto). Im Risikoanalysebogen vom 30.06.2006 (Anlage B 1, Bl. 15 d. A.) stufte sie sich hinsichtlich der Risikoklasse in die Klasse 2 ein. Diese wird wie folgt beschrieben:
"Die Sicherheit der Anlage ist mir wichtig, aber für Renditevorteile nehme ich auch angemessene, im Wesentlichen vorübergehende Verlustrisiken in Kauf.
Risiken: Kurzfristige moderate Kursschwankungen sind möglich. Mittel/langfristig ist ein Vermögensverlust unwahrscheinlich.
Chance: Eine marktgerechte Verzinsung, die in der Regel über der von Spar- und Festgeldanlagen liegt."
In der nächsthöheren Risikoklasse 3, welche die Klägerin nicht ankreuzte, waren die Risiken wie folgt beschrieben:
"Höhere Kursschwankungen aus Aktien, Zins- und Währungsentwicklungen."
Für Stufe 4 lautete die Beschreibung:
"Starke Verluste in bestimmten Marktphasen sind möglich."
Am 1.11.2006 kam es zu einem Telefonat zwischen der Tochter der Klägerin, der Zeugin ..., welche die Klägerin vertrat, und einem Berater der Beklagten, dem Zeugen .... Darin wurde der Erwerb einer Anlage für die Klägerin besprochen, des Fonds ... der .... Die Chancen und Risiken der Anlage wurden erörtert. Der weitere Inhalt des Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig.
Die Klägerin behauptet, die Zeugin ... habe in dem Gespräch geäußert, sie strebe eine Vermögensbildung ohne Kapitalverlust an. Sie sei nicht bereit, Verluste hinzunehmen. Weiter komme es auf jederzeitige Veräußerbarkeit der Anlage an.
Die Beklagte bestreitet diese Angaben der Zeugin .... Der Berater habe vielmehr darauf hingewiesen, dass gewisse Risiken bestünden. Die Klägerin, vertreten durch die Zeugin ..., sei zu deren Hinnahme bereit gewesen.
Unstreitig hatte die Beklagte der Klägerin vor dem Telefonat eine Kurzinformation über das in Aussicht genommene Anlageobjekt, den Fonds ... übersandt (Anlage K 7, Bl. 99 d. A.). Die Klägerin behauptet, sie und die Zeugin ... hätten die Kurzinformation vor dem Telefonat nicht gelesen.
In dem Telefonat erteilte die Zeugin ... namens der Klägerin der Beklagten den Auftrag zum Erwerb des ihr empfohlenen Fonds ... im Umfang von 236 Stück. Diese Fonds-Anteile ... im Umfang von 236 Stück wurden am 3.11....