Leitsatz (amtlich)

WEG-Aufzugsanlage: „Faktische Stilllegung durch Nichtstun” ist kein Ausbau und greift nicht in den Kernbereich des Wohnungseigentums ein.

1. Die „faktische Stilllegung” eine WEG-Aufzugsanlage durch die Ablehnung der Instandsetzung greift nicht in dessen Substanz ein. Eine solchermaßen faktisch stillgelegte Anlage kann jederzeit wieder repariert und in Betrieb genommen werden. Hierdurch unterscheidet sich die „faktische Stilllegung durch Nichtstun” sowohl vom (unterlassenen) erstmaligen Einbau als auch von der Entfernung (Ausbau) einer Aufzugsanlage. Letztere greift in die Substanz des Gemeinschaftseigentums ein und verändert dieses tatsächlich, während die „faktische Stilllegung” lediglich zu einem – ggf. vorübergehenden – allgemeinen, sämtliche Wohnungseigentümer gleichermaßen treffenden – Gebrauchsausschluss führt.

2. Eine in der notariellen Teilungserklärung enthaltene „Gebrauchsregelung” u.a. zum Personenaufzug bestimmt nicht ohne Weiteres, welche Räume und Einrichtungen zum gemeinschaftlichen Gebrauch zu errichten und instand zu halten sind, sondern im Ausgangspunkt lediglich, durch wen die zu diesem Zweck vorhandenen Anlagen benützt werden dürfen.

Solange die Wohnungseigentümer ihre Wohnungseigentumseinheit weiter über das Treppenhaus erreichen können, greift die „faktische Stilllegung” des Aufzugs nicht in den Kernbereich des Wohnungseigentums ein. Etwas anderes mag gelten, wenn – wie denkbarerweise bei einer Wohnanlage zum „betreuten Wohnen” – erhöhte Anforderungen an die Barrierefreiheit zum Kernbereich des konkreten Wohnungseigentums gehören.

 

Verfahrensgang

AG Villingen-Schwenningen (Urteil vom 09.11.2020; Aktenzeichen 11 C 84/20)

 

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen vom 09.11.2020, Az. 11 C 84/20, wird zurückgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

I.

Die Parteien bilden die Wohnungseigentümergemeinschaft W. Sie streiten über die Durchführung erforderlicher Instandhaltungs- / Instandsetzungsmaßnahmen zur Wiederinbetriebnahme einer im Gemeinschaftseigentum stehenden, im Hause B befindlichen, Aufzugsanlage.

Die Wohnungseigentümergemeinschaft besteht aus drei Wohnhäusern, den Häusern A, B und C. Die Kläger sind Eigentümer der Wohnungseigentumseinheit Nr. 14 im Wohnhaus B und an einem Betrieb der Aufzugsanlage interessiert. Die Aufzugsanlage wurde bei Errichtung des Gebäudes und Aufteilung in Wohnungseigentum im Jahr 1979 im Bereich des Gemeinschaftseigentums des Hauses B installiert und ermöglicht das Fahren zwischen den Etagen, nicht jedoch den barrierefreien Zugang zu den Wohnungseigentumseinheiten. Um zu dem Aufzug zu gelangen, müssen mindestens 15 Treppenstufen (vgl. Lichtbilder AS I 89 ff.) überwunden werden. Die beiden anderen Häuser verfügen über keinen Aufzug.

Die Aufzugsanlage wurde bei Errichtung des Gebäudes auf Betreiben der Eheleute E., vormals Eigentümer der im Haus B befindlichen Wohnungseigentumseinheit Nr. 14, eingebaut. In der Folge waren die Aufzugsanlage und die mit ihrem Betrieb verbundenen Kosten mehrfach Gegenstand von Streitigkeiten zwischen den Wohnungseigentümern und es wurden verschiedene Vereinbarungen hierzu getroffen.

Die Teilungserklärung enthält unter IV. 2. c) folgende Regelung:

„Die zum gemeinschaftlichen Gebrauch der Wohnungseigentümer bestimmten Räume und Einrichtungen, z.B. Treppen und Flur außerhalb der Wohnungstür, Personenaufzug, Waschküche, Trockenraum (soweit vorhanden) werden von den Wohnungseigentümern gemeinsam benutzt.”

Am 10.12.1981 hatten die Wohnungseigentümer eine Vereinbarung über die Nutzung und Kostenaufteilung hinsichtlich des Aufzugs getroffen, die am 01.02.1982 dergestalt abgeändert wurde, dass das Ehepaar E. den Aufzug nutzen und betreiben darf und hierfür sämtliche anfallenden Kosten zu tragen hat. Die Aufzugsanlage war sodann von 1982 bis 1987 in Betrieb. Zwischen 1987 bis 2007 wurde sie nicht betrieben.

Ab 2007 wurde sie bis zur Sanierungsbedürftigkeit 2019 wieder in Betrieb genommen. Auf Basis eines Beschlusses der Eigentümerversammlung vom 18.04.2007 wurden die Kosten des laufenden Betriebs sowie der Instandhaltung der Aufzugsanlage einschließlich Wartung, Strom und Reparaturen nach einer Vereinbarung der Parteien anteilig je nach Belegenheit ihrer Wohneinheit prozentual aufgeteilt. Dieser Umlageschlüssel wurde zwischen den Parteien des Rechtsstreits im Verfahren … C …/17 des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen durch gerichtlichen Vergleich vom 19.04.2018 ausdrücklich bestätigt. Der Vergleich hat in § 1 folgenden Wortlaut:

„Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Kostenverteilung hinsichtlich der Aufzugsanlage, welche in dem Protokoll der Eigentümerversammlung vom 23.11.2017 festgehalten worden ist, keinen Bestand hat. Die Kostenverteilung erfolgt nach dem frühere...

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