Leitsatz (amtlich)
1. Zum Nachweis falscher Angaben des Versicherungsnehmers in der Berufsunfähigkeitsversicherung, wenn der Agent das Formular ausgefüllt hat.
2. Mit dem Ausfüllen des Fragebogens zu Vorerkrankungen bleibt der Versicherungsagent quasi "Herr des Verfahrens". Ob und inwieweit zu der Verfahrensleitung auch die Erläuterung der Fragen und die Einschränkung der Antworten gehört, kann nicht generell, sondern nur nach den Umständen des Einzelfalls beantwortet werden.
3. Daraus, dass bei einer Klage auf Feststellung des Fortbestehens einer Berufsunfähigkeitsversicherung die Versicherungsnehmerin erst in der Replik näher auf die Vorwürfe der Beklagten in deren Klageerwiderung zu den Rücktrittsgründen vorträgt, können keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden.
Tenor
Es wird festgestellt, dass die private Berufsunfähigkeitsversicherung der Klägerin bei der Beklagten mit der Versicherungsnummer 4.1 635 63.26 nicht durch den Rücktritt der Beklagten vom 28. Mai 2010 beendet worden ist, sondern darüber hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung des Bestehens eines Versicherungsvertragsverhältnisses über eine private Berufsunfähigkeitsversicherung.
Am 16. August 2006 beantragte die Klägerin bei der Beklagten den Abschluss einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung. Im Versicherungsschein ist unter anderem für den Leistungsfall der Berufsunfähigkeit eine monatliche Rente in Höhe von EUR 750,00 vereinbart, sowie die Befreiung von der Beitragspflicht.
Im Antragsformular, das der Versicherungsvermittler J. ausfüllte, ist die Frage 3
"Sind Sie in den letzten 5 Jahren wegen Krankheiten, Beschwerden oder Störungen untersucht, beraten oder behandelt worden hinsichtlich: Herz, Kreislauf, innere Organe, Harnwege, Bluthochdruck, Atmungsorgane, Gefäße, Drüsen, Gehirn, Nerven, Psyche, Blut, Zucker, Stoffwechsel, Krebs, Tumore, Knochen, Gelenke, Wirbelsäule, Muskeln, Augen, Ohren, Haut, Allergien, Infektionen, Verletzungen, Alkohol- oder Drogenkonsum?"
ebenso verneint, wie die folgenden Fragen vier bis sieben zu nicht behandelten Beschwerden, bestehende körperliche Beeinträchtigungen oder den Bezug von Rente aus gesundheitlichen Gründen.
Im März 2009 wurde die Klägerin auf Veranlassung ihres Arbeitgebers, der Bundeswehr, wegen voller Erwerbsminderung verrentet. Deshalb beantragte sie am 23. April 2010 bei der Beklagten rückwirkend ab dem 10. November 2008 Leistungen wegen Berufsunfähigkeit.
Wegen dieses Antrags holte die Beklagte zur Leistungsprüfung bei der Krankenkasse Auskünfte ein. Mit Schreiben vom 06. Mai 2010 teilte die BKK und mit Schreiben vom 10. Mai 2010 die AOK der Beklagten u.a. folgende Behandlungen und Erkrankungen der Klägerin mit:
14.9. bis 23.9.2005 |
krank geschrieben wegen depressiver Episode |
13.6. bis 14.6.2005 |
krank geschrieben wegen Deformation der Wirbelsäule und des Rückens |
vom 5.6.2003 bis 3.8.2006 |
Behandlungen und krank geschrieben in insgesamt neunzehn Fällen, eintägig und mehrtägig, wegen Migräne. |
Auf die Berichte (AH 57 - 61 und 63 - 81) wird im Übrigen Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 28. Mai 2010, der Klägerin zugestellt am 31. Mai 2010, erklärte die Beklagte Rücktritt vom Versicherungsvertrag wegen dieser Behandlungen und Erkrankungen (AH 5/7).
Die Klägerin trägt vor,
der Vermittler J. sei von ihr über Krankheiten beim Ausfüllen des Antragsformulars informiert worden. Sie habe mitgeteilt, in den letzten Jahren keine Krankheiten, Störungen oder Beschwerden gehabt zu haben, die eine längere Behandlung erforderlich gemacht hätten. Sie sei wegen verschiedener Kleinigkeiten bei ihrem Hausarzt gewesen. Ihr sei mitgeteilt worden, sie müsse kleinere Erkrankungen wie z.B. Behandlungen wegen Migräne nicht angeben. Der bei dem Gespräch anwesende Hausarzt, Dr. H., habe verschiedene Behandlungen wie HWS, Migräne oder die depressive Episode erläutert. Der Vermittler J. habe daraufhin erwidert, dass nur länger andauernde Erkrankungen angegeben werden müssten.
Die depressive Episode sei auf eine abgebrochene Schwangerschaft zurückzuführen. Das BWS-Syndrom sei eingerenkt worden und sei ebenso wie die Migräneerkrankungen nur eine Bagatellerkrankung gewesen.
Die Klägerin beantragt:
festzustellen, dass die private Berufsunfähigkeitsversicherung der Klägerin bei der Beklagten mit der Versicherungsnummer 4.1 635 63.26 nicht durch den Rücktritt der Beklagten vom 28. Mai 2010 beendet worden ist, sondern darüber hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor,
die Klägerin habe die im Vertragsformular gestellten Fragen in Kenntnis des Vorliegens anzeigepflichtiger Umstände falsch beantwortet. Daher sei die Beklagte wirksam gem. §§ 16, 17 VVG vom Vertrag zurückgetreten. Bei den Vorerkrankungen der Klägerin handele es sich um gefahrerhebliche U...