Entscheidungsstichwort (Thema)
Erhöhung der WEG-Erhaltungsrücklage durch Sonderumlage
Leitsatz (amtlich)
1. Die Erhaltungsrücklage kann auch im Wege einer Sonderumlage angesammelt werden.
2. Der Beschluss über die Erhöhung der Erhaltungsrücklage – selbst wenn eine konkrete bauliche Maßnahme absehbar ist bzw. zur Begründung angeführt wird – muss regelmäßig nicht durch die Einholung von Handwerker-Vergleichsangeboten oder Sachverständigengutachten vorbereitet werden.
3. Nur die Ansammlung einer (v.a. mit Blick auf den Zustand der Wohnungseigentumsanlage) angemessenen Erhaltungsrücklage entspricht ordnungsgemäßer Verwaltung.
Verfahrensgang
AG Karlsruhe-Durlach (Urteil vom 11.05.2023; Aktenzeichen 2 C 294/21 WEG) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe-Durlach vom 11.05.2023, Az. 2 C 294/21 WEG, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 21.375,00 EUR festgesetzt.
Gründe
(abgekürzt nach §§ 540, 313a Abs. 1 ZPO)
I.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die zulässige Klage ist vollständig abzuweisen.
Die Beschlussanfechtungsklage hat, auch wenn ihr erstinstanzlich stattgegeben wurde, keinen Erfolg. Der angefochtene Beschluss aus der Versammlung vom 02.08.2021 zu TOP 8 über die „Sonderzuführung zur Erhaltungsrücklage in Höhe von 30.000,00 EUR, verteilt nach Miteigentumsanteilen, aufgrund der anstehenden Dach- und Fassadensanierung” ist nicht für ungültig zu erklären.
a. In formeller Hinsicht begegnet die Beschlussfassung keinen Bedenken.
b. Diese Beschlussfassung zu „TOP 8” ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden, widerspricht insbesondere nicht ordnungsgemäßer Verwaltung.
Der Beschluss über die Erhöhung/ Festlegung der Höhe der Instandhaltungsrücklage darf nicht verwechselt werde, mit dem Beschluss über die Durchführung und Finanzierung einer baulichen Maßnahme. Es geht hier nicht um eine Sonderumlage zur Finanzierung einer konkreten Bau- bzw. Erhaltungsmaßnahme (vgl. zu solchen „Erhaltungsumlagen” die vom Amtsgericht zitierte Kommentarstelle bei: Bärmann/Becker, 15. Aufl. 2023, WEG § 28 Rn. 100), sondern um die Erhöhung der Erhaltungsrücklage (vgl. dazu im Allgemeinen: Bärmann/Dötsch, 15. Aufl. 2023, WEG § 19 Rn. 206 ff.), die auch im Wege einer Sonderumlage angesammelt werden kann (vgl. Bärmann/Dötsch, 15. Aufl. 2023, WEG § 19 Rn. 222).
Insbesondere braucht der Beschluss über die Erhöhung der Erhaltungsrücklage – selbst wenn eine konkrete bauliche Maßnahme absehbar ist bzw. zur Begründung angeführt wird – nicht durch die Einholung von Handwerker-Vergleichsangeboten vorbereitet werden. Ebensowenig bedurfte es – weder vor dem noch im Prozess – der Einholung eines Sachverständigengutachtens (vgl. Kammer, Urteil vom 19.05.2022 – 11 S 69/20).
Nur die Ansammlung einer angemessenen Erhaltungsrücklage entspricht ordnungsgemäßer Verwaltung (vgl. § 19 Abs. 2 Nr. 4 WEG n.F.; zum Ganzen: Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 19 Rn. 151; Drasdo ZWE 2012, 17 ff.). Die Angemessenheit bestimmt sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalles. Bei der Bestimmung der Höhe der Erhaltungsrücklage, des jährlichen Beitrags zur Erhaltungsrücklage und des Zeitraums, in welchem sie aufgebracht werden soll, haben die Wohnungseigentümer einen weiten Ermessensspielraum. Dieses Ermessen kann sich in concreto reduzieren und eine sofortige Aufstockung der Rückstellung erforderlich machen. Nur wesentlich überhöhte oder zu niedrige Ansätze widersprechen einer ordnungsmäßigen Verwaltung.
In der Praxis gibt es verschiedene Kriterien zur Ermittlung der angemessenen Höhe der Erhaltungsrücklage (aus der älteren Literatur und Rechtsprechung: Orientierung an § 28 Abs. 2. BV, also (mindestens) 11,50 EUR/qm ab dem 32. Bezugsjahr; Peters'sche Formel in Orientierung an den Baukosten; der Fachverband für Wohnungseigentumsverwalter e.V. empfiehlt zwischen 0,8?% bis 1,0?% des Kaufpreises).
Die Gesamthöhe der Erhaltungsrücklage wird maßgeblich vom Zustand einer Wohnungseigentumsanlage geprägt. Prüfsteine für die Ermittlung einer angemessenen Höhe können weiter sein: vor allem und vorrangig der zu erwartende Erhaltungsbedarf und der dazu erforderliche Kapitaleinsatz (OLG München ZMR 2008, 410 (411)), die Beschaffenheit/der bauliche Zustand der Wohnungseigentumsanlage, ihre Größe, ihre Lage in der Umwelt, bauliche Besonderheiten, das Alter des Gebäudes oder der Gebäude, ihre Reparaturanfälligkeit (OLG München ZMR 2008, 410 (411)) sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse der Wohnungseigentümer (LG München I ZWE 2017, 286; Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 19 Rn. 151).
Auf der Grundlage des jeweiligen Einzelfalles ist eine grobe Abschätzung des Bedarfs für die Instandsetzung einzelner Gewerke (Einrichtungen, Anlagen und Gebäudeteile) der richtige Weg. Ausgehend von empirischen Werten hin...