Orientierungssatz
Die "Entschädigung für Mehraufwendungen" beim sog. 1-Euro-Job ist nicht pfändbar.
Normenkette
ZPO § 850k; SGB II § 16d
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 14.06.2010 wird zurückgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird festgesetzt auf 1.200 €.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Die Gläubigerin betreibt die Zwangsvollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Hünfeld vom 13.01.1986 (im Verfahren B 260 284/85). Wegen einer Forderung von etwa 7.500 € erwirkte sie den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts vom 10.06.2009, der sich auf die vermeintlichen Ansprüche des Schuldners gegen die eingangs bezeichnete Drittschuldnerin, zu der er eine Kontoverbindung unterhält, erstreckt.
Am 19.05.2010 beantragte der Schuldner, die Pfändung dieses Kontos im Wege des Vollstreckungsschutzes aufzuheben, da dort lediglich Arbeitslosengeld II sowie - variabel - ein Betrag von 106 € eingingen. Die letztgenannte Gutschrift beruht darauf, dass der Schuldner einer "Arbeitsgelegenheit" im Sinne von § 16d SGB II (sog. 1-Euro-Job) nachgeht und ihm daraus eine monatliche Mehraufwandsentschädigung in der angegebenen Größenordnung zufließt.
Diesem Antrag hat das Amtsgericht nach Anhörung der Beschwerdeführerin durch Beschluss vom 14.06.2010 (Bl. 94 f. d.A.) insoweit stattgegeben, als es die Pfändung des Kontos Nr. 1005467838 wegen laufender Sozialleistungen, ausgezahlt vom AA "..." in Höhe von 271 € sowie der Mehraufwandsentschädigung, gezahlt von der Stadt "...", in Höhe von monatlich bis zu 106 € aufgehoben hat, hinsichtlich der letztgenannten Anordnung hat das Amtsgericht zugleich die Wirksamkeit seiner Entscheidung vom Eintritt der Rechtshängigkeit abhängig gemacht.
Gegen die Entscheidung wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrem Rechtsmittel vom 23.06.2010 (Bl. 29 d.A.), mit dem sie unter Hinweis auf ihr bisheriges Vorbringen ihr ursprüngliches Begehren weiter verfolgt. Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel am 28.06.2010 nicht abgeholfen und die Verfahrensakten der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
Der zuständige Einzelrichter hat das Verfahren am 29.06.2010 der Kammer nach § 568 II ZPO zur Entscheidung übertragen.
II. Die gemäß § 793, 567 ZPO statthafte und gemäß § 569 ZPO form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
(1.) Soweit das Amtsgericht die Pfändung hinsichtlich der eingehenden Zahlungen von Arbeitslosengeld II aufgehoben hat, nimmt dies die Beschwerdeführerin - obwohl sie ihr Rechtsmittel umfassend eingelegt hat - ersichtlich hin; denn schon erstinstanzlich hat sie allein die vom Schuldner angestrebte Aufhebung der Pfändung wegen der Mehraufwandsentschädigung angegriffen. Damit ist die amtsgerichtliche Entscheidung der Überprüfung durch die Kammer entzogen.
Nur vorsorglich weist die Kammer deshalb darauf hin, dass es einer umfassenden Aufhebung insoweit nicht bedurft hätte. Bei dem Arbeitslosengeld II handelt es sich um eine Sozialleistung, für die der Gesetzgeber mit den §§ 54, 55 SGB I eigenständige Sondervorschriften für den Pfändungsschutz geschaffen hat. Danach ist die durch die Gutschrift entstehende Forderung des Berechtigten gegenüber dem kontoführenden Geldinstitut für die Dauer von 7 Tagen seit der Gutschrift unpfändbar. Gemäß § 55 I 2 SGB I gilt die Pfändung des Guthabens nur als mit der Maßgabe ausgesprochen, dass sie das Guthaben in Höhe der in § 55 I 1 SGB I bezeichneten Forderung während der 7 Tage nicht erfasst. Dabei handelt es sich um eine kraft Gesetzes geltende Regelung, die, ohne dass es eines Antrages des Berechtigten oder eines gesonderten Ausspruchs bedarf, den Umfang der Pfändung einschränkt. Einer dennoch erfolgten Aufhebung der Pfändung hat es deshalb für die ersten 7 Tage seit der Gutschrift nicht bedurft.
(2) Ohne Erfolg wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die mit der angefochtenen Entscheidung erfolgte Freigabe der auf dem Konto eingehenden "Mehraufwandsentschädigung" in Höhe von monatlich bis zu 106 €.
Der für die Ausübung des "1-Euro-Jobs" nach § 16d SGB II n.F. (entspricht § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II a.F.) gezahlten "Entschädigung für Mehraufwendungen" liegt ein Anspruch des Schuldners nach den Bestimmungen des SGB II zugrunde. Ob diese Mehraufwandsentschädigung nach Gutschrift auf dem Konto des Schuldners dem Zugriff des Gläubigers unterliegt, ist in der Rechtsprechung umstritten.
Für ihre Sichtweise, die in Rede stehende Mehraufwandsentschädigung sei pfändbar, da es sich dabei weder um eine Leistung im Sinne von § 850a Nr. 3 ZPO handele noch sie dem abschließenden Katalog des § 54 I - III SGB I unterfalle, kann sich die Gläubigerin - soweit ersichtlich - auf die Entscheidung des Landgerichts Bautzen (Beschluss vom 28.04.2009 - 3 T 24/09) und auch die wohl ständige Rechtsprechung des Landgerichts Görlitz (Beschluss vom 21.03.2007 - 2 T 43/07; Beschluss vom 15.05.200...