Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrenspflegerbestellung. Unterbringungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Bei Verfahren in Unterbringungssachen im Sinne der §§ 312 ff. FamFG ist für den nicht anwaltlich vertretenen Betroffenen ein Verfahrenspfleger zu bestellen, falls kein völlig atypischer Einzelfall vorliegt.

 

Normenkette

FamFG § 317; GG Art. 3; StPO § 140 Abs. 1 Nr. 6; BGB § 1906; PsychKG NRW § 11

 

Verfahrensgang

AG Kleve (Aktenzeichen 18 XIV 331/12 .L)

 

Tenor

Für das Beschwerdeverfahren wird Rechtsanwalt C zum Verfahrenspfleger des Betroffenen bestellt.

 

Gründe

Gemäß § 317 Abs. 1 FamFG bestellt das Gericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger, soweit es zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist.

Soll der Betroffene gegen seinen Willen geschlossen untergebracht werden, so ist es zur Wahrnehmung seiner Interessen stets erforderlich, einen Verfahrenspfleger zu bestellen (MünchKomm/Schmidt-Recla, ZPO, 3. Aufl. 2010, § 317 FamFG, Rn. 4), wenn dieser nicht bereits anwaltlich vertreten ist (§ 317 Abs. 4 FamFG). Dem Betroffenen droht im Unterbringungsverfahren mit der Freiheitsentziehung der schwerste Eingriff, den die Rechtsordnung erlaubt, der - anders als die Strafhaft bei einsichts- und steuerungsfähigen Straftätern - nicht zwingend befristet ist, sondern bei einem andauernden Unterbringungsgrund lebenslang bestehen bleiben kann (MünchKomm/Schmidt-Recla, ZPO, 3. Aufl. 2010, § 317 FamFG, Rn. 4). Die Freiheitsentziehung gegenüber einer Person, die psychisch auffällig geworden ist, kann nicht ohne Verfahrensbeistand angeordnet werden, weil ansonsten ein im Hinblick auf Art. 3 GG sachlich nicht zu rechtfertigender Unterschied zwischen dem Unterbringungsverfahren und den Anordnungen in § 140 Abs. 1 Nr. 6 und 7 StPO (Notwendigkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers bei Unterbringung zur Begutachtung des psychischen Zustandes oder bei isolierter Maßregelanordnung wegen Gefährlichkeit) bestünde. Dort muss bereits ein Verteidiger bestellt werden, sobald feststeht, dass über die Frage der Unterbringungentschiedenwerden muss. Ohne Bestellung eines Verteidigers darf dort die Unterbringung weder angeordnet, noch abgelehnt werden, weil auch die Ablehnung der Unterbringung schwerwiegende Folgen haben kann. Auch muss, wenn die geistige Gesundheit des Beschuldigten in Frage steht, stets mit der naheliegenden Möglichkeit gerechnet werden, dass er selbst nicht in der Lage ist, in dem Verfahren nach § 81 Abs. 1 StPO seine Interessen sachgerecht wahrzunehmen (BGH NJW 1952, 797). Die genannten Gesichtspunkte gelten sachlich im Unterbringungsverfahren nach PsychKG NRW und nach § 1906 BGB im selben Maße. Dass der Betroffene - anders als der Beschuldigte - einer Straftat nicht verdächtig ist, lässt ihn in den genannten Unterbringungsverfahren auch nicht weniger, sondern erst recht als schutzwürdig erscheinen.

Von der Bestellung eines Verfahrenspflegers für den nicht anwaltlich vertretenen Betroffenen kann in Unterbringungssachen nur in völlig atypischen Einzelfällen abgesehen werden, wobei die Nichtbestellung gemäß § 317 Abs. 2 FamFG überdies stets zu begründen ist. Ein denkbares Beispiel eines solchen atypischen Einzelfalls wäre, dass die Ordnungsbehörde in einem Verfahren nach dem PsychKG NRW den Unterbringungsantrag bereits zurückgenommen hat, bevor es zu gerichtlichen Anordnungen gekommen ist.

Vorliegend ist der Betroffene - dessen Unterbringung nach dem PsychKG NRW angeordnet worden ist - weder durch einen Rechtsanwalt vertreten, noch liegt ein völlig atypischer Einzelfall vor, der die Nichtbestellung eines Verfahrenspflegers rechtfertigen könnte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 4622807

FamRZ 2013, 240

BtPrax 2012, 262

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