Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachlich Zuständigkeit StVK. Bewährungswiderruf. Strafhaft. Gericht des ersten Rechtszugs.
Leitsatz (amtlich)
Zur Zuständigkeitsverteilung zwischen Gericht und ersten Rechtszugs und Strafvollstreckungskammer bei einem Bewärungswiderruf hinsichtlich eines Probanden, der sich in anderer Sache in Strafhaft befunden hatte.
Normenkette
StPO § 462a; StGB § 56 ff.
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts Kleve vom 11.01.2011 wird aufgehoben.
Gründe
I.)
Der Beschwerdeführer wurde durch Strafbefehl des Amtsgerichts Kleve vom 26.06.2006 wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Während der Bewährungszeit wurde der Beschwerdeführer erneut straffällig. Durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Moers vom 25.05.2009 wurde er wegen Betruges zu einer weiteren Freiheitsstrafe verurteilt. Gegen den daraufhin mit Beschluss vom 11.01.2011 durch das Amtsgericht Kleve erfolgten Widerruf der Strafaussetzung richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten.
II.)
Die sofortige Beschwerde (§§ 453 Abs. 2 S. 3, 311 StPO) ist zulässig und hat in der Sache zumindest vorläufig Erfolg.
Für den Widerruf der Strafaussetzung war das Amtsgericht als erstinstanzliches Gericht sachlich nicht mehr zuständig. Zuständig war die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts. Nach § 462 a Abs. 1 StPO hat die Strafvollstreckungskammer bei der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe den Vorrang vor dem Gericht des ersten Rechtszuges. Die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer wird bereits mit der Aufnahme des Verurteilten in eine JVA ihres Bezirkes begründet (BGH, Beschluss vom 08.10.2009 - 2 ARs 408/99). Vorliegend befand sich der Verurteilte ab dem 09.09.2010 (zur Vollstreckung der Strafe aus dem genannten Urteil des Amtsgerichts Moers) in Haft in der JVA Moers-Kapellen. Über den von der Staatsanwaltschaft beantragten Widerruf der Strafaussetzung im hiesigen Verfahren hätte demnach die Strafvollstreckungskammer entscheiden müssen.
Dabei kann sogar dahingestellt bleiben, ob das Amtsgericht bei Strafantritt schon mit dem Widerrufsverfahren befasst war. Der Zuständigkeitswechsel vom Gericht des ersten Rechtszuges zur StVK tritt nämlich grundsätzlich auch dann ein, wenn bereits vor Beginn der Vollstreckung das Gericht des ersten Rechtszugs eine nachträgliche Entscheidung zu treffen hatte, dies aber noch nicht geschehen ist. Das "Befasstsein" hindert den Übergang der Zuständigkeit nur im Verhältnis zwischen mehreren Strafvollstreckungskammern. Gegenüber dem Gericht des ersten Rechtszugs hat die Strafvollstreckungskammer dagegen - solange noch keine Entscheidung ergangen ist - stets den Vorrang, sobald eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird. Eine Zuständigkeitsfixierung durch Befasstsein des Tatgerichts (Gerichts des ersten Rechtszuges) gibt es insoweit nicht (BGH, Beschluss vom 19.09.1986 - 2 ARs 206/86, BGHR § 462a Abs. 1 Befasstsein 2; KK-StPO-Appl, § 462a Rn. 30).
Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Verurteilte mittlerweile (am 08.03.2011) aus dem Strafvollzug entlassen ist. Die sachliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer für die Entscheidung über den Widerruf wurde mit Antritt der Strafhaft und der Aktenkundigkeit des möglichen Widerrufsgrundes begründet. Die Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszugs lebt in diesem Fall auch nach der Entlassung des Probanden aus der Strafhaft nicht wieder auf (BGH, Beschluss vom 14.11.2007 - 2 ARs 446/07).
Nur wenn der Proband im Zeitpunkt des Aktenkundigwerdens des Widerrufsgrundes bereits wieder aus der Haft entlassen war und keine StVK mit Vollstreckungsentscheidungen in anderen Verfahren (z.B. Bewährungs- oder Führungsaufsicht) befasst ist, lebt die subsidiäre sachliche Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszugs wieder auf (vgl. LR-Graalmann-Scheerer, 26. Aufl., § 462a Rn. 36 und 40).
Das Gericht des ersten Rechtszuges ist sachlich auch dann nicht zuständig, wenn der Proband bei oder nach Aktenkundigkeit des Widerrufsgrundes zwar keine Strafhaft verbüßt, aber wegen früherer Strafhaft die Zuständigkeit der StVK für andere Vollstreckungsverfahren nach § 462 a StPO noch besteht.
Aus den genannten Gründen scheidet auch eine Entscheidung in der Sache durch die Beschwerdekammer aus. Eine unmittelbare Verweisung an die zuständige StVK durch das Beschwerdegericht ist mangels Rechtsgrundlage nicht möglich. Daher ist lediglich der Widerrufsbeschluss aufzuheben und das Bewährungsheft zur weiteren Veranlassung der Staatsanwaltschaft zu übersenden.
III.)
Aufgrund des nur vorläufigen Erfolgs der sofortigen Beschwerde ergeht keine Kostenentscheidung.
Fundstellen