Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem Räumungstitel

 

Orientierungssatz

(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)

Im Falle einer ernsthaften Lebensgefahr für den Räumungsschuldner ist grundsätzlich die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung angezeigt.

 

Gründe

(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)

Die Zwangsvollstreckung aus dem Räumungsurteil ist nach § 765a Abs. 1 ZPO einstweilen einzustellen. Die genannte Vorschrift sieht die Möglichkeit der zeitweiligen Einstellung, aber auch der - selbst vollständig und auf Dauer wirkenden - Untersagung der Zwangsvollstreckung vor, wenn sich diese für den Vollstreckungsschuldner wegen besonderer Umstände als eine mit den guten Sitten nicht vereinbare Härte darstellt. Bei der Prüfung dessen, was als eine solche mit den guten Sitten nicht zu vereinbarende Härte anzusehen ist, müssen die Vollstreckungsgerichte auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte berücksichtigen. Eine entsprechend diesen Grundsätzen vorgenommene Würdigung aller Umstände kann in besonders gelagerten Einzelfällen dazu führen, daß zur Vermeidung unzulässiger Grundrechtsbeeinträchtigungen eines Schuldners die Vollstreckung aus einem rechtskräftigen Titel für einen längeren Zeitraum einzustellen ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu besorgen ist. Führt eine Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen von Schuldner und Gläubiger zu dem Ergebnis, daß die der Zwangsvollstreckung entgegenstehenden, unmittelbar der Erhaltung von Leben und Gesundheit dienenden Interessen des Schuldners im konkreten Fall ersichtlich schwerer wiegen als diejenigen Belange, deren Wahrung die staatliche Vollstreckungsmaßnahme dienen soll, so kann ein gleichwohl erfolgender staatlicher Eingriff das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und das Grundrecht des Schuldners aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzen, so daß die Zwangsvollstreckung einzustellen ist (vgl. BVerfG NJW 1979, 2607 (= WM 1980, 27); ferner Scholz, ZMR 1986, 227, 228).

So liegt es hier. Aus dem von der Schuldnerin beigebrachten amtsärztlichen Attest ergibt sich, daß sich die Schuldnerin derzeit in einer akuten Verschlechterung ihres seit Jahren bestehenden schweren chronischen seelischen Leidens befindet, so daß sie aus nervenärztlicher Sicht als räumungsunfähig anzusehen ist. Zur Vermeidung unberechenbarer und auch selbstgefährdender Handlungen der Schuldnerin ist ein Aufschub der Zwangsräumung dringend angezeigt. Gegen die Feststellungen des Amtsarztes hat die Gläubigerin keine durchgreifenden Bedenken vorgebracht. Der Einwand, das Gutachten könne nicht als objektiv bezeichnet werden, ist nicht durch sachliche, den Gesundheitszustand der Schuldnerin betreffende Erwägungen begründet worden. Die Kammer muß daher davon ausgehen, daß die Schuldnerin für einen noch nicht absehbaren Zeitraum nicht räumungsfähig ist, weil durch eine Räumung eine akute Gefährdung der Schuldnerin eintreten könnte. Hinter diesem Gesichtspunkt müssen im Rahmen der nach § 765a Abs. 1 ZPO notwendigen Abwägung die berechtigten und von der Kammer in ihrem vollen Gewicht gewürdigten Interessen der Gläubigerin an einer alsbaldigen Räumung der Wohnung zurücktreten. Im Falle einer ernsthaften Lebensgefahr für den Schuldner ist grundsätzlich die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung angezeigt.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1737252

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge