Tenor
Der Beklagten wird verurteilt, an die Klägerin 100 000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.08.2007 zu zahlen. Bezüglich der weitergehenden Zinsforderung wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
Tatbestand
Bezüglich des Tatbestands wird auf das Grundurteil der Kammer vom 06.02.2008, Bl. 70 bis 81 der Akte, Bezug genommen.
Zum weiteren Behandlungsverlauf im Anschluss an den streitgegenständlichen Eingriff ergibt sich aus den beigezogenen Krankenunterlagen, dass sich die Klägerin am 24.08.1978 in den städtischen Krankenanstalten M. einer Operation zur Penisaufrichtung unterzog, die ohne Komplikationen verlief. Hierdurch sollte insbesondere die Kohabitationsfähigkeit hergestellt werden. Am 09.02.1979 folgte ein weiterer Eingriff zu erneuten Aufrichtung und Harnröhrenrekonstruktion. Am 30.03.1979 wurden beidseits Hodenprothesen implantiert.
Ende der 80er Jahre begab sich die Klägerin in der neurologischen Klinik des Klinikums T. in L. in Behandlung wegen vorübergehend empfundener Entfremdungsgefühle. Es wurde die Verdachtsdiagnose einer Temporallappenepilepsie gestellt, die sich indes auch nach umfangreicher neurologischer Diagnostik nicht sicher bestätigen ließ.
Zu den Folgen des Eingriffs behauptet die Klägerin, ihr seien normal ausgebildete und voll funktionsfähige Geschlechtsorgane entfernt worden. Andernfalls hätte sie das Leben einer Frau einschließlich einer erfüllten weiblichen Sexualität führen und sich fortpflanzen können. So habe sie ein "Leben im falschen Geschlecht" führen müssen. Ihr Körper habe sich vermännlicht und "Kastratenfett" angesetzt. Infolge der Auseinandersetzung mit dem Behandlungsgeschehen habe sie 2005/2006 eine schwere psychische Krise erlitten.
Zudem sei es infolge der Harnröhrenrekonstruktion zu einer chronischen, nahezu antibiotikaresistenten Harnwegsinfektion mit Nierenbeteiligung und chronischen Blasenentleerungsstörungen gekommen. Weiterhin leide sie an einem gestörten Temperaturempfinden sowie an einem generell geschwächten Immunsystem.
Sie beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie für die ihr zugefügte Verletzung vom 12.8.1977 ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch € 100 000 nebst Jahreszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 8.5.2007 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
Er bestreitet die Kausalität. Er ist der Auffassung, dass sich die behaupteten Folgen nicht abgrenzbar gerade auf die Organentnahme zurückführen ließen. Keinesfalls sei der gesamte weitere Krankheitsverlauf zurechenbar.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und die zur Gerichtsakte gereichten Behandlungsunterlagen Bezug genommen.
Die Kammer hat zur Schadenshöhe Beweis erhoben gemäß dem Beschluss vom 17.02.2009 (Bl. 200 f.d.A.) durch Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens sowie durch Vernehmung der Klägerin gemäß § 287 ZPO. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 20.05.2009 (Bl. 223 ff.d.A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist bis auf eine geringfügige Zinsforderung begründet.
Nach dem Ergebnis der Schätzungsvernehmung und der Beweisaufnahme durch die Einholung eines mündlichen Gutachtens der Sachverständigen PD. Dr. S. ergibt sich im Wege der Differenzhypothese, dass die Klägerin neben den Belastungen durch den operativen Eingriff als solchen dafür zu entschädigen ist, dass ihr durch die Entfernung ihrer weiblichen Geschlechtsorgane die Möglichkeit genommen wurden, ein Leben als Frau zu führen, eine weibliche Sexualität zu erleben sowie den Versuch zu unternehmen sich fortzupflanzen. Hiermit geht eine erhebliche psychische Belastung sowohl während der Zeit des Lebens als Mann als auch im Zusammenhang mit dem Bekanntwerden und der Aufarbeitung des streitgegenständlichen Geschehens einher. Eine solche ist auch für die Zukunft zu erwarten.
Damit folgt die Kammer den Ausführungen der Sachverständigen PD Dr. S., die als Fachärztin für Kinder-Endokrinologie und auf Grund ihrer leitenden Tätigkeit eines Netzwerks, das insbesondere auch mit der Behandlung von Patientinnen befasst ist, die wie die Klägerin dispositioniert sind, in besonderer Weise für die Beurteilung der maßgeblichen medizinischen Fragestellungen qualifiziert ist.
Sie hat konkret auf den seinerzeitigen, im Jahr 1977 geltenden, Behandlungsstandard bezogen ausgeführt, dass durch das adrenogenitale Syndrom virilisierte Frauen durch die Gabe von Cortison behandelt worden seien, das die Produktion von Testosteron in der Nebennierenrinde ruhig lege. Allein hierdurch bedingt werde die Produktion der weiblichen Geschlechtshormone in Gang gesetzt. In der Folge führe dies dazu,...