Leitsatz (amtlich)

1. Gemäß § 103 StPO kann bei einem unverdächtigen Dritten die Durchsuchung grundsätzlich angeordnet werden, wenn bestimmte Tatsachen vermuten lassen, dass sich bestimmte als Beweismittel dienende Gegenstände in dessen Räumen befinden; die pauschale, allgemeine Erwartung allein, irgendein relevantes Beweismittel zu finden, rechtfertigt einen solchen Eingriff in die Rechte eines Dritten hingegen nicht.

2. Um der Funktion einer vorbeugenden Kontrolle einer Durchsuchung und ihrer Umgrenzung gerecht zu werden, darf sich die Entscheidung im Abhilfeverfahren nicht auf Gründe stützen, die dem Ermittlungsrichter im Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses nicht bekannt waren (BVerfG, Kammerbeschluss v. 10.09.2010, NJW 2011, 291 f.)

3. Der Vollzug der Maßnahme bildet für die Prüfungskompetenz und die Heilungsmöglichkeiten fehlerhafter Durchsuchungsanordnungen eine Zäsur.

4. Dem Interesse der Betroffenen an der späteren Kontrolle der richterlichen Bestätigung über die Durchsicht der sichergestellten Unterlagen und Gegenstände wird hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass in entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 S. 2 StPO eine richterliche Entscheidung hierüber beantragt werden kann.

 

Normenkette

StPO §§ 94, 98 Abs. 2 S. 2, §§ 103, 105, 110, 308, 309 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Wetzlar (Entscheidung vom 18.01.2011)

 

Tenor

Der Durchsuchungsbeschluss vom 03.11.2010 in der Fassung des Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts Wetzlar vom 18.01.2011 wird aufgehoben.

Auf die weitergehende Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Wetzlar vom 18.01.2011 wird der angefochtene Beschluss unter Verwerfung der Beschwerde im Übrigen dahin abgeändert, dass die vorläufige Sicherstellung der in der Anlage dieses Beschlusses durch die Sicherstellungsnachweise belegten Gegenstände zum Zwecke der Durchsicht richterlich bestätigt wird.

Die Betroffene hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit der Maßgabe zu tragen, dass die Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse zu 3/4 auferlegt werden.

 

Gründe

I.

Die Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes Wetzlar beantragte am 28.10.2010 im Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten ... wegen des Verdachts der Hinterziehung von Einkommensteuer in den Jahren ... und Umsatzsteuer in den Jahren ... den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses gemäß §§ 103, 105 StPO in Bezug auf die Wohn- und Geschäftsräume der Betroffenen in ..., mit der Begründung, es sei anzunehmen, dass die Durchsuchung zum Auffinden u.a. von Vertrags- und Registerunterlagen, Treuhandverträgen, Buchhaltungsunterlagen und Buchungsbelegen, Ein- und Ausgangsrechnungen, Zahlungsbelegen, Mahnungen sowie Prozess- und Vollstreckungsunterlagen, Vermögensübersichten und Schriftverkehr des Beschuldigten sowie der Firmen ... Deutschland, ... und ... und elektronische Daten und Datenträger des Beschuldigten und der genannten Firmen führen werde. Der Beschuldigte sei verdächtig, die Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen pflichtwidrig in Unkenntnis gelassen und damit Einkommens- und Umsatzsteuer in noch festzustellender Höhe hinterzogen zu haben. Der Beschuldigte habe seinen, für die steuerliche Veranlagung maßgeblichen Lebensmittelpunkt in der BRD. Die Betroffene sei Lebens- und Geschäftspartnerin des Beschuldigten. Sie sei zumindest seit ... unter der Anschrift ... gemeldet und übe in vom Beschuldigten angemieteten Räumlichkeiten in der ... ihre selbständige Tätigkeit aus. Der Beschuldigte sei gemeinsam mit ihr unter ihrer Wohnanschrift ansässig.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 03.11.2010 ordnete das Amtsgericht Wetzlar gemäß §§ 103, 105 StPO die Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume der Betroffenen in ... an, "weil aufgrund von Tatsachen zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln, nämlich Unterlagen, auch in elektronischer Form, die Rückschlüsse auf den tatsächlichen Aufenthaltsort des Beschuldigten und die Höhe seiner Einkünfte zulassen, führen wird (...)". Im Rahmen der Durchsuchung am ... stellte die Steuerfahndungsstelle Wetzlar unter anderem gemäß den Sicherstellungsnachweisen (Bl. 159 - 161 d.A. Mac-PCs und mehrere Ordner mit Schriftverkehr, Rechnungen und Kontoauszügen sowie weiteren Geschäftsunterlagen vorläufig sicher. Die Durchsicht dauert noch an.

Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 15.12.2010 hat die Betroffene gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Wetzlar vom 03.11.2010 Beschwerde eingelegt und diese damit gerechtfertigt, es fehle an der hinreichenden Individualisierung der gesuchten Beweismittel. Die Steuerfahndungsstelle beim Finanzamt Wetzlar hat in ihrer Stellungnahme hierzu beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, und angeregt, beim zuständigen Amtsgericht Wetzlar die vorläufige Sicherstellung der bei der Durchsuchung am 10.12.2010 bei dem Beschuldigten und der Betroffenen/Beschwerdeführerin sichergestellten Unterlagen und der elektronischen Speichermedien gemäß den Verzeichnissen, Bl. ...

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