Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstellung der Zwangsvollstreckung
Verfahrensgang
AG Magdeburg (Beschluss vom 13.04.1995; Aktenzeichen 2 M 976/95) |
AG Magdeburg (Urteil vom 08.11.1994; Aktenzeichen 15 C 1519/94) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Schuldners wird der Beschluß des AG Magdeburg vom 13.04.1995 aufgehoben.
Die Zwangsräumung des Gläubigers aus dem Versäumnisurteil des Amtsgerichts Magdeburg vom 08.11.1994 – 15 C 1519/94 – wird bis zum 31.07.1995 eingestellt.
Gründe
Die Beschwerde ist gem. §§ 793, 577 ZPO, 11 Abs. 2 und 4 Rechtspflegergesetz zulässig und hat in der Sache Erfolg. Unter den zumindest jetzt im Beschwerdeverfahren gegebenen Umständen kann den Antragstellern der begehrte Vollstreckungsschutz von 2 Monaten gem. § 765 a ZPO gewährt werden. Dabei kann zunächst im vorliegenden Fall noch unentschieden bleiben, ob nicht schon allein das Fehlen einer Ersatzwohnung die Annahme einer Härte rechtfertigt, die mit guten Sitten nicht vereinbar ist. Die Kammer weist jedoch in diesem Zusammenhang bereits darauf hin, daß es im Hinblick auf den im Grundgesetz verankerten Sozialstaatsgedanken (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG) Aufgabe des Staates ist, Obdachlosigkeit zu vermeiden. Angesichts der äußerst angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt in … erscheint es für die Antragsteller, die angesichts ihrer Familien- und Einkommensverhältnisse auf Wohngeld oder andere staatliche Hilfen angewiesen sind, nahezu ausgeschlossen, seit Bekanntwerden des Versäumnisurteils bis heute eine Ersatzwohnung gefunden zu haben, obwohl sie sich, unstreitig, in ausreichendem Maß hierum bemüht haben.
Neben dem Fehlen einer Ersatzwohnung ist nämlich folgendes zu berücksichtigen.
Die Zwangsräumung der Wohnung vor Ende Juli 1995 würde für den Schuldner eine besondere Härte im Sinne des § 765a ZPO bedeuten, die auch bei Würdigung der Interessen der Gläubigerin nicht mit den guten Sitten vereinbar ist. Zum einen hat der Schuldner schon aufgrund der Familienverhältnisse mit insgesamt 7 Personen erheblich eingeschränkte Möglichkeiten sich auf dem freien Wohnungsmarkt eine angemessene und für ihn bezahlbare Wohnung zu verschaffen. Hinzu kommt jedoch, daß 2 der Kinder des Schuldners unstreitig behindert sind und sich 2 andere noch in der schulischen Ausbildung befinden. Unter diesen Voraussetzungen ist zu erwarten und zu befürchten, daß alleine die drohende Obdachlosigkeit bzw. eine möglicherweise seitens der Stadt zur Verfügung gestellte Schlichtwohnung nicht in der Lage ist, den zu berücksichtigenden gesundheitlichen und schulischen Interessen der Kinder gerecht zu werden. Nicht nur, daß bekanntermaßen insbesondere für Behinderte ein Wohnungswechsel mit erheblichen Belastungen verbunden ist, wäre auch für die schulpflichtigen Kinder zu befürchten, daß sie bei einem Wohnungswechsel innerhalb des laufenden Schuljahres erhebliche Nachteile erfahren. All diesen Umständen stehen schützenswerte Belange der Antragsgegnerin nicht entgegen, denn sie muß sich zum einen entgegenhalten lassen, daß ihr die wirtschaftlich schwierige und familiär problematische Situation bereits seit Anfang 1992 bekannt ist und daß sie, obwohl sie über einen bekanntermaßen großen Wohnungsbestand verfügt offensichtlich nicht bereit ist, auch aus den Grundsätzen der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und des allgemeinen Sozialstaatsgedanken, den Schuldnern aus ihrem Bestand eine angemessene Wohnung zur Verfügung zu stellen bzw. ihnen bei der Suche nach einer Wohnung behilflich zu sein.
Im übrigen ist auch zu erwarten, daß die Schuldner nach Stellung eines Antrages auf Wohngeld zumindest für die verbleibende Zeit die Mietzahlungen an die Gläubigerin sicherstellen können und zumindest Aussicht besteht, daß ihre eigenen Bemühungen um Erlangung eines angemessenen Wohnraumes bis zum Ablauf der gewährten Räumungsfrist möglicherweise doch noch Erfolg haben. Insoweit wird es auch Sache der Ordnungsbehörden sein, eine drohende Obdachlosigkeit der Schuldner zu beseitigen, ohne daß daraus für den Fall der Nichtbereitstellung folgt, daß die Obdachlosenfürsorge dem Gläubiger auferlegt werden kann. Zur Überzeugung der Kammer handelt es sich vorliegend um einen der ganz besonders gelagerten Ausnahmefälle, in denen eine sofortige Vollstreckung zu einer sittenwidrigen Härte führen würde, so daß der zeitlich begrenzte Aufschub von rund 2 Monaten hinaus aufgrund des § 765 ab BGB gerechtfertigt ist. In Fällen der vorliegenden Art hält es die Kammer aufgrund der allgemeinen bekannten derzeitigen Situation auf dem … Wohnungsmarkt, die insbesondere gekennzeichnet ist durch den Mangel an preisgünstigem Wohnraum, zur Vermeidung von Obdachlosigkeit gerechtfertigt, die Vorschrift des § 765a ZPO zumindest solange extensiv auszulegen, als die staatlich zuständigen Behörden nicht hinreichend Möglichkeiten und Mittel zur Verfügung stellen, Obdachlosigkeit oder erhebliche gesundheitliche oder familiäre Einschnitte in Fällen der vorliegenden Art zu vermeiden.
Bei Abwägung der drohenden Obdachlosigkeit des Sch...