Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstellung der Zwangsvollstreckung nach ZPO § 765a Abs 1 bei Zwangsräumung
Orientierungssatz
(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)
Die Voraussetzungen einer einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung nach ZPO § 765a Abs 1 sind gegeben, wenn ein geschäftsunfähiger Mieter keinen Pfleger zur Beschaffung einer Ersatzwohnung hat.
Gründe
(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)
Nach § 765a Abs. 1 ZPO kann das Vollstreckungsgericht die Zwangsvollstreckung einstweilen einstellen, wenn die Zwangsräumung unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor:
1. In dem vorliegenden Fall muß davon ausgegangen werden, daß die Schuldnerin geschäftsunfähig ist. Bis zum Erlaß des amtsgerichtlichen Beschlusses v. 20.9.1983, durch den der Wirkungskreis der Pflegschaft auf die Vertretung der Pflegebefohlenen bei der Beschaffung einer Ersatzwohnung erweitert wurde, hatte die Schuldnerin auch keinen Vertreter, der in der Lage gewesen wäre, für sie eine Ersatzwohnung anzumieten. Mit der Durchführung der Zwangsräumung wäre die Schuldnerin zwar nicht obdachlos geworden, weil die Behörde in solchen Fällen für eine anderweitige Unterbringung sorgen muß. Dennoch stellt die Durchführung der Zwangsräumung gegen eine Schuldnerin, die sich weder selbst helfen kann noch über einen Pfleger verfügt, der ihre Angelegenheiten zu besorgen vermag, grundsätzlich eine sittenwidrige Härte dar. Nach den Wertvorstellungen des Grundgesetzes darf ein Schuldner, der infolge geistiger oder körperlicher Gebrechen außerstande ist, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen, nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht werden. Dies gilt im besonderen Maße für Angelegenheiten, die mit dem Verlust der bisherigen Wohnung und der Beschaffung einer Ersatzwohnung zusammenhängen. Die Wohnung ist kein beliebig austauschbares Wirtschaftsgut, sondern bildet in der Regel den Mittelpunkt des menschlichen Daseins. Schon aus diesem Grunde muß jeder Räumungsschuldner grundsätzlich die Chance zur Ersatzraumsuche erhalten. Diese Voraussetzungen lagen bis zum 20.9.1983 nicht vor. Die Kammer hat bereits in dem Beschl. v. 5.8.1983 dargelegt, daß die Schuldnerin wegen ihres Gesundheitszustands, der durch die vorgelegten ärztlichen Atteste belegt und der Kammer auch aufgrund zahlreicher Verfahren bekannt ist, erhebliche Schwierigkeiten bei der Ersatzraumsuche hat. Nach den in dem Pflegschaftsverfahren gewonnenen Erkenntnissen muß weiter davon ausgegangen werden, daß die Schuldnerin auch aus Rechtsgründen nicht in der Lage ist, allein einen Mietvertrag abzuschließen, weil sie nicht mehr geschäftsfähig ist. Die von der Gläubigerin insoweit geäußerten Zweifel sind durch nichts belegt.
2. Die mit der Zwangsräumung verbundene Härte ist nicht bereits deshalb entfallen, weil die Schuldnerin mittlerweile einen Pfleger hat, mit dessen Hilfe sie angemessenen Ersatzwohnraum suchen und anmieten kann. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt steht derartiger Wohnraum noch nicht zur Verfügung. Bei dieser Sachlage muß dem Pfleger ausreichende Gelegenheit zur Ersatzraumsuche gegeben werden. Auch dies hat das AG zutreffend dargelegt. Allerdings ist die Kammer der Auffassung, daß hierfür zunächst ein Zeitraum von 3 Monaten ausreicht.
3. Besondere Interessen der Gläubigerin, die über ein allgemeines Interesse an der Durchsetzung eines Räumungstitels hinausgehen, liegen nicht vor. Der Umstand, daß die Schuldnerin statt der vereinbarten 693,- DM nur 561,- DM Miete bezahlt, ist von untergeordneter Bedeutung. Dieses Verhalten der Schuldnerin beruht offensichtlich nicht auf mangelnder Zahlungsfähigkeit, sondern auf mangelnder Zahlungswilligkeit. Der Prozeßpfleger der Schuldnerin hat in diesem Zusammenhang vorgetragen, daß die Schuldnerin lediglich einen Mietzins von 561,- DM schuldet. Falls dieser Vortrag zutrifft, kann die Minderzahlung schon aus diesem Grund nicht zum Nachteil der Schuldnerin berücksichtigt werden. Trifft dieser Vortrag nicht zu, so stellt die Minderzahlung für die Gläubigerin zwar eine finanzielle Belastung dar. Dieser Umstand müßte allerdings hinter den Interessen der Schuldnerin an dem hier in Frage stehenden weiteren kurzzeitigen Verbleib in der Wohnung zurücktreten. Einer endgültigen Entscheidung über die Berechtigung der Minderzahlung bedarf es deshalb nicht.
Fundstellen