Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtmäßigkeit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bei Streitigkeiten über die örtliche Zuständigkeit des das Verfahren eröffnenden Gerichts. Erfüllung der Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bei Geltendmachung von Umsatzsteuerrückständen durch ein Finanzamt
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Beschwerdeverfahren ist nach § 6 InsO iVm § 571 II S. 1 ZPO die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit des Insolvenzgerichts nicht zu berücksichtigen. Die Zuständigkeit eines Amtsgerichts als Insolvenzgericht richtet sich nach § 3 I S. 1 InsO. Danach ist das Gericht, in dessen Bezirk der Schuldner im Zeitpunkt der Antragstellung seinen allgemeinen Gerichtsstand, also seinen Wohnsitz nach § 12 ZPO hat, örtlich zuständig. Spätere Veränderungen haben darauf keine Auswirkung,
2. Nach § 16 InsO setzt die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraus, dass ein Eröffnungsgrund gegeben ist. Ob ein Eröffnungsgrund vorliegt, hat das Insolvenzgericht von Amts wegen zu ermitteln. Bei natürlichen Personen kommt, sofern es sich nicht um einen Eigenantrag handelt, nur der allgemeine Eröffnungsgrund des § 17 I InsO, nämlich die Zahlungsunfähigkeit, in Betracht.
3. Nach § 17 II S. 1 InsO ist ein Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Es sind demnach aktuell und kurzfristig verfügbare Mittel einerseits und fällige Verbindlichkeiten andererseits einander gegenüber zu stellen. § 17 Abs. 1 InsO stellt dabei nicht auf die Merkmale der Dauer einer bestehenden Illiquidität oder der Wesentlichkeit ab, gleichwohl führt eine nur vorübergehende Zahlungsstockung noch nicht zur Annahme einer Zahlungsunfähigkeit. Vorhandenes Vermögen – z.B. Immobilien oder Forderungen und Rechte – begründet zunächst noch keine Liquidität, sondern wäre allenfalls im Rahmen des – für natürliche Personen nicht gegebenen – Eröffnungsgrundes der Überschuldung nach § 19 I InsO maßgeblich. Das vorhandene Vermögen ist bei der Prüfung der Zahlungsfähigkeit oder Zahlungsunfähigkeit daher nur insoweit bedeutsam, als es kurzfristig zu liquidieren oder zu beleihen ist, um so die zur Begleichung der wesentlichen fälligen Verbindlichkeiten erforderliche Liquidität zu schaffen. Eine kurzfristige Liquidationsmöglichkeit ist bei einer Dauer von ca. drei Wochen noch anzunehmen, während bei einer längeren Dauer Zahlungsunfähigkeit vorliegt.
4. Demgemäß sind im Rahmen der Prüfung des § 17 InsO die aktuell und kurzfristig verfügbaren Mittel festzustellen und den fälligen Verbindlichkeiten gegenüber zu stellen. Soll der Eröffnungsgrund aus einer einzigen und vom Schuldner bestrittenen Forderung eines antragstellenden Gläubigers abgeleitet werden, muss die Forderung für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voll bewiesen sein, d.h., sie muss zur Überzeugung des Insolvenzgerichts feststehen.
5. Zwar hat ein Insolvenzgericht bei öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten grundsätzlich von der Rechtmäßigkeit des zugrunde liegenden Bescheides auszugehen, solange dieser nicht aufgehoben ist. Doch kann dies jedenfalls dort nicht gelten, wo die Forderung vom Schuldner substantiiert bestritten wird und der öffentlich-rechtliche Gläubiger selbst daraufhin an diesem Bescheid nicht mehr festhält. Denn damit steht der Bestand der Forderung gerade doch wieder in Zweifel.
Normenkette
InsO § 3 Abs. 1 S. 1, §§ 6, 16, 17 Abs. 1; ZPO § 571 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
AG Wolfratshausen (Beschluss vom 29.12.2008; Aktenzeichen 1 IN 129/08) |
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners wird der Beschluss des Amtsgerichts Wolfratshausen – Insolvenzgericht – vom 29.12.2008 aufgehoben.
II. Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung über den Antrag des Gläubigers auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners an das Amtsgericht Wolfratshausen -Insolvenzgericht – zurückgegeben.
Tatbestand
I.
Der Schuldner war Geschäftsführer der seit 2004 gelöschten Fa. xxx mit Sitz in München. Das Zentralfinanzamt München nahm den Schuldner als sog. Haftungsschuldner wegen Umsatzsteuerrückständen der Gesellschaft für die Jahre 1994 – 1999 in Höhe von EUR 130.370,69 zuzüglich Säumniszuschlägen von EUR 18.235,00 in Anspruch. Ein Vollstreckungsversuch am 11.02.2008 verlief fruchtlos; auf das Vollstreckungsprotokoll mit den Feststellungen der wirtschaftlichen Verhältnisse vom gleichen Tag (Bl. 3 – 10 d.A.) wird Bezug genommen. Mit Schreiben vom 12.03.2008 beantragte das Zentralfinanzamt beim Amtsgericht Wolfratshausen – Insolvenzgericht – die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners.
Der Schuldner trat dem unter Hinweis auf von ihm erhobene Einsprüche entgegen. Mit Schreiben vom 29.05.2008 teilte das Zentralfinanzamt mit, dass sich die Haftungsbeträge nunmehr auf noch EUR 71.132,79 zuzüglich Säumniszuschlägen und Vollstreckungskosten von EUR 20.957,00 beliefen.
Mit Beschluss vom 30.07.2008 wurde Rechtsanwalt Rolf Sperling mit der Erstellung eines Insolvenzgutachtens beauftragt.
Mit Sch...