Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwesenheitsrecht des Gläubigers bei Zwangsvollstreckung beim Schuldner
Leitsatz (redaktionell)
Ob der Gerichtsvollzieher verpflichtet ist, den Gläubigervertreter vom Zwangsvollstreckungstermin zu benachrichtigen, berührt nicht das Grundrecht des Schuldners auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Es regelt sich allein aus § 62 Abs. 5 GVGA.
Normenkette
GVGA § 62 Abs. 5
Verfahrensgang
AG Lüdinghausen (Aktenzeichen 6 M 52/91) |
Tenor
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
Der Gerichtsvollzieher wird angewiesen, bei der Durchführung des Vollstreckungsauftrages den Vertreter des Gläubigers rechtzeitig vorher vom Zeitpunkt der Vollstreckung zu benachrichtigen.
Wert: bis 900,– DM
Gründe
Der Gläubiger betreibt die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner aus dem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Essen vom 17. 03. 1989 (6 B 1047/89) wegen einer Hauptforderung von 319,43 DM nebst Zinsen und Kosten, insgesamt inzwischen wegen 869,75 DM. Der Vertreter des Gläubigers hat am 14. 11. 1990 dem beteiligten Gerichtsvollzieher Vollstreckungsauftrag erteilt, welchen der Gerichtsvollzieher gemäß § 63 GVGA eingestellt hatte, da der Schuldner amtsbekannt keine pfändbare Habe besitze. Daraufhin erteilte der Gläubigervertreter dem Gerichtsvollzieher am 29.11.1990 einen erneuten Vollstreckungsauftrag, welcher mit der Aufforderung endete:
„Ich bitte um telefonische Terminabsprache mit meinem Büro, da ich persönlich an der Zwangsvollstreckung teilnehmen möchte.”
Der Gerichtsvollzieher teilte dem Vertreter des Gläubigers daraufhin am 9. 12. 1990 mit, daß er es ablehne, ihm den Termin der Zwangsvollstreckung vorher mitzuteilen, und in seiner Anwesenheit durchzuführen, da es ihm bei dieser normalen auf Zahlung von Geld gerichteten Zwangsvollstreckung nicht ersichtlich sei, daß es einer besonderen Mitübungspflicht des Gläubigervertreters bedürfe. Der Gerichtsvollzieher bezog sich daraufhin zur Stützung seiner Ansicht auf eine Entscheidung des Landgerichts Kassel vom 03. 06.1988 (2 T 66/88), abgedruckt in DGVZ 88,173.
Gegen die Weigerung des Gerichtsvollziehers, dem Gläubigervertreter den Termin des erneuten Vollstreckungsversuches mitzuteilen, hat der Gläubiger in zulässiger Weise nach § 766 ZPO beim Amtsgericht Erinnerung eingelegt, welche mit dem angefochtenen Beschluß zurückgewiesen worden ist.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Gläubigers ist zulässig nach § 793 ZPO.
Sie ist auch begründet.
Das Recht des Gläubigers, bei der Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher persönlich oder durch seine Vertreter anwesend zu sein, ergibt sich aus § 62 Abs. 5 GVGA. Aus dieser Vorschrift ergibt sich auch die Pflicht des Gerichtsvollziehers, auf das Verlangen des Gläubigers diesen rechtzeitig vom Zeitpunkt der Vollstreckung zu unterrichten und auch die Anwesenheit des Gläubigervertreters bei der Zwangsvollstreckungshandlung zu dulden. Ob der Schuldner selbst verpflichtet ist, den Gläubigervertreter in seine Wohnung hineinzulassen, oder ob der Gerichtsvollzieher berechtigt ist, auf ein solches Verlangen den Gläubigervertreter gegen den Willen des Schuldners nach § 108 GVGA Zutritt zur Wohnung zu verschaffen, ist nicht die im vorliegenden Verfahren zu beantwortende Frage. Darauf kommt es nicht an. Ob der Schuldner Widerstand gegen die Anwesenheit des Gläubigervertreters bei der Vollstreckungshandlung leisten wird, wird sich erst an Ort und Stelle herausstellen. Erst dann wird sich gegebenenfalls auch die Frage stellen, ob das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung dem Schuldner das Recht gibt, dem Gläubigervertreter den Zutritt zu verweigern. Die Frage, ob der Gerichtsvollzieher verpflichtet ist, den Gläubigervertreter vom Zwangsvollstreckungstermin zu benachrichtigen, berührt nicht das Grundrecht des Schuldners auf Unverletzlichkeit der Wohnung, sondern regelt sich allein aus § 62 Abs. 5 GVGA. Die Kammer ist entgegen dem Landgericht Kassel insoweit der Ansicht, daß eine Verfassungswidrigkeit dieser Vorschrift nicht gegeben ist. Lediglich die in § 62 Abs. 5 GVGA enthaltene Verweisung auf § 108 GVGA könnte das Grundrecht eines Schuldners aus Art. 13 Abs. 2 Grundgesetz berühren. Diese Frage stellt sich jedoch zur Zeit im vorliegenden Falle nicht.
Der Gläubiger hat auch ein plausibles Rechtsschutzinteresse für eine Teilnahme an einer Zwangsvollstreckungshandlung gegen den Schuldner dargetan. Der Gläubiger hat nämlich vorgetragen, daß der Schuldner hochwertige Radiogeräte besitze, auf welche er im Wege der Austauschpfändung zugreifen wolle. Diese Chance muß dem Gläubiger gegeben werden, obwohl der Gerichtsvollzieher bereits am 14. 11. 1990 dem Gläubiger mitgeteilt hat, der Schuldner sei amtsbekannt unpfändbar. § 62 Abs. 5 GVGA hat unter anderem gerade diesen Zweck, einem Gläubiger die Chance zu geben, bei einem ansonsten unpfändbaren Schuldner im Wege einer Austauschpfändung pfändbare Habe zu erlangen. Nach alledem war, wie geschehen, zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 603273 |
NJW 1992, 379 |