Leitsatz (amtlich)
Land muss bei menschenunwürdigen U-Haftbedingungen Geldentschädigung zahlen
Tenor
1.
Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 1.200 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 09.06.2006 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Land kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von dem beklagten Land Niedersachsen Geldentschädigung wegen menschenunwürdiger Unterbringung in der Untersuchungshaft.
Der Kläger befand sich ab dem 15.02.2002 wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung bis zum Antritt der Strafhaft am 02.07.2004 fortlaufend in Untersuchungshaft, unter anderem in der Justizvollzugsanstalt Lingen, Abteilung Osnabrück (im folgenden: JVA Osnabrück). Während der Inhaftierung in der JVA Osnabrück erfolgte die Unterbringung an 41 Tagen, die Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sind, gemeinschaftlich mit anderen Gefangenen. Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden Zeiträume:
Unterbringungszeitraum |
Haftraum |
Gesamtbelegungszahl |
18.03.02 - 26.03.02 |
19 |
bis zu 5 |
26.03.02 - 08.04.02 |
8 |
bis zu 5 |
08.04.02 - 11.04.02 |
7 |
2 |
11.04.02 - 12.04.02 |
8 |
bis zu 5 |
12.07.02 - 15.07.02 |
217 |
2 |
16.07.02 - 22.07.02 |
207 |
2 |
05.08.02 - 06.08.02 |
207 |
2 |
23.08.02 - 26.08.02 |
207 |
2 |
08.09.02 - 09.09.02 |
207 |
2 |
18.11.02 - 19.11.02 |
215 |
2 |
26.01.03 - 27.01.03 |
215 |
2 |
In allen Hafträumen war die Toilette nur durch einen sogenannten "Schamsichtschutz", bei dem ein Bretterverschlag etwa auf Brusthöhe endet, abgetrennt. Über eine Entlüftung verfügten die Toiletten nicht. Während der Inhaftierung des Klägers fanden in der JVA Osnabrück umfangreiche bauliche Maßnahmen statt.
Der Kläger behauptet, die Unterbringung habe ihn in seiner Menschenwürde verletzt. Die Hafträume 8 und 19, in denen er mit bis zu vier weiteren Gefangenen untergebracht gewesen sei, hätten eine Größe von nur 16 qm. Die Einzelhafträume hätten jeweils eine Größe von unter 8 qm. Zu zusätzlichen Beeinträchtigungen der Inhaftierten sei es durch die zeitgleich durchgeführten Umbaumaßnahmen der JVA Osnabrück gekommen.
Der Kläger beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger 1.230 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 09.06.2006 zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es behauptet, die Hafträume 8 und 19 hätten eine Bodenfläche von 23,76 qm und die kleineren Hafträume hätten eine Bodenfläche von 9,68 qm. Täglich habe in der JVA Osnabrück die Freistunde von 8.00 h bis 9.00 h stattgefunden. Aufschlusszeiten seien von 10.00 h bis 12.00 h sowie von 13.00 h bis 15.00 h gewesen. Von 16.00 h bis 20.00 h habe Umschluss stattgefunden. Hierdurch seien die Folgen der gemeinschaftlichen Unterbringung abgemildert worden. Es verweist im übrigen auf seine erheblichen finanziellen Anstrengungen zur Verbesserung der Lage im Strafvollzug durch die Neubauten der Justizvollzugsanstalten Sehnde und Rosdorf.
Die Gefangenenpersonalakte des Klägers und die Strafakte der StA Oldenburg .... haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Inaugenscheinnahme von Fotografien der zwischenzeitlich renovierten Hafträume, durch persönliche Anhörung des Klägers sowie durch Vernehmung des Zeugen ..... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.01.2007.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist im Wesentlichen begründet. Der Kläger kann den aus dem Tenor ersichtlichen Betrag als Ausgleich für eine Verletzung der Menschenwürde (Artikel 1 Abs. 1 Satz 1 GG) und seines aus Artikel 1 und Artikel 2 Abs. 1 GG hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts verlangen. Dabei handelt es sich nicht im eigentlichen Sinne um ein Schmerzensgeld gemäß § 253 Abs. 2 BGB, sondern um einen Rechtsbehelf, der auf den Schutzauftrag aus Artikel 1 und Artikel 2 Abs. 1 GG zurückgeht (BGH, BGHZ 161, 33; BGHZ 122, 268; OLG Karlsruhe, NJW RR 2005, 1267). Einen Anspruch des Klägers auf Geldentschädigung stützt die Kammer auf folgende Erwägungen:
1.
Die Unterbringung des Klägers in einer Gemeinschaftszelle war rechtswidrig, weil er sich in Untersuchungshaft befand und die Unterbringung in einer Gemeinschaftszelle nicht ausdrücklich beantragt hatte, § 119 StPO, § 23 Abs. 1 UhvollzO. Dass er trotzdem in einer Gemeinschaftszelle untergebracht wurde, erfüllt den objektiven Tatbestand einer Amtspflichtverletzung gem. § 839 Abs. 1 BGB. Es liegt auch keine rechtfertigende Einwilligung des Klägers vor. Im Gegenteil hat der Kläger ausweislich der Gefangenenpersonalakte in zahlreichen schriftlichen Stellungnahmen immer wieder auf die Rechtswidrigkeit seiner Unterbringung hingewiesen und die Inhaftierung in einer Einzelzelle beantragt. Der Umstan...