Verfahrensgang
AG Potsdam (Beschluss vom 04.08.2006; Aktenzeichen 77 Gs 904/06) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 4. August 2006 (77 Gs 903/06) aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Durchsuchung der Kanzlei- und Geschäftsräume, einschließlich aller Nebenräume, des Beschwerdeführers in 14532 Stahnsdorf, Potsdamer Allee 66–68 am 16. Oktober 2006 und die Beschlagnahme von sechs Aktenordnern rechtswidrig waren.
Die beschlagnahmten Unterlagen, und zwar:
- 1 Ordner „AK, Verwertung, KDLB, MS”
- 1 Ordner „Gläubiger 23–28”
- 1 Ordner „Gläubiger 1–22”
- 1 Ordner „Unterlagen von Schuldnerin zu Kreditoren”
- 1 Ordner „Unterlagen von Schuldnerin lfd. Ausgangsrechnungen”
- 1 Ordner „Status, Banken, Verträge, AN, GL-Karres, Steuern”
sind unverzüglich an den Beschwerdeführer herauszugeben.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.
Tatbestand
I.
Gegen den Beschuldigten … ist seit dem 12. April 2006 ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Betruges zum Nachteil der Sozialversicherungsträger und des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (Sozialversicherungsbeiträge) anhängig.
Folgende Vorwürfe erhebt die Staatsanwaltschaft Potsdam gegen den Beschuldigten:
Der Beschuldigte war mindestens von 2002 bis Dezember 2005 alleiniger Geschäftsführer der Baufirma Lö-Bau Bauausführung GmbH mit Sitz in Teltow. Die Firma wurde insolvent, und am 7. Dezember 2005 eröffnete das Amtsgericht Potsdam über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren (35 IN 1139/05). Zum Insolvenzverwalter wurde am selben Tag der Beschwerdeführer, Rechtsanwalt … ernannt. Geschäfts- und Kanzleiräume des Beschwerdeführers befinden sich in ….
Im Zuge des Insolvenzverfahrens führte die Deutsche Rentenversicherung Brandenburg bei der … GmbH an vier Tagen zwischen dem 1. Februar und dem 15. April 2006 eine Betriebsprüfung gemäß § 28p Abs. 1 SGB IV durch und entdeckte dabei, dass im Prüfzeitraum vom 1. Oktober 2002 bis zum 30. August 2005 systematisch zwei verschiedene Lohnabrechnungen erstellt worden waren, und zwar erhielten die Arbeitnehmer Lohnabrechnungen, auf denen ihre tatsächlichen Arbeitsleistungen mit Stundenlohn und Arbeitsstunden aufgeführt waren, während auf anderen, fiktiven Lohnabrechnungen, die Grundlage für die Beitragsabrechnungen der Einzugsstelle sein sollten und dorthin übersandt wurden, wesentlich geringere Stundenlöhne und eine deutlich reduzierte Zahl von Arbeitsstunden ausgewiesen waren. Die Ermittlungsbehörden gehen davon aus, dass der Beschuldigte wahrscheinlich gewerbsmäßig und auch schon vor dem 1. Oktober 2002 fiktive Abrechnungen erstellt hat.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht Potsdam eine Reihe von Durchsuchungsbeschlüssen. Ein derartiger Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss betraf den Beschwerdeführer. Am 4. August 2006 ordnete das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss an, dass gemäß §§ 103, 105 StPO die Durchsuchung der Kanzlei- und Geschäftsräume, einschließlich aller Nebenräume, des Insolvenzverwalters der Firma … Bausführung GmbH, nämlich des Beschwerdeführers, durchzuführen sei. Gemäß §§ 94, 98 StPO werde die Beschlagnahme hinsichtlich der eventuell vorgefundenen Beweismittel angeordnet, da insbesondere folgende Gegenstände für das Verfahren von Bedeutung sein könnten: Die Betriebsunterlagen der … Bauausführung GmbH, insbesondere Arbeitsverträge, Lohnlisten, Prämienlisten, Arbeitszeitjournale, Arbeitszeitvereinbarungen, Kontounterlagen über Gehalts- und/oder Prämienzahlungen usw. Betroffen sei der Zeitraum vom 19. November 1999 bis zum 7. Dezember 2005. Der Beschluss enthielt eine Abwendungsbefugnis.
Am 16. Oktober 2006 wurden die Geschäftsräume des Beschwerdeführers in Stahnsdorf durchsucht. Die Einsatzkräfte traten dabei in Zivilkleidung auf. Sie stellten die sechs oben aufgeführten Ordner, die von einer Mitarbeiterin des Beschwerdeführers freiwillig herausgegeben wurden, sicher.
Die Durchsuchung dauerte 55 Minuten.
Der Beschwerdeführer hat am selben Tag Beschwerde gegen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts eingelegt. Er meint, die Maßnahme sei unzulässig und unverhältnismäßig und geeignet, ohne sachlichen Grund das Ansehen seiner Anwaltskanzlei schwer zu schädigen. Sie unterbinde die weitere ordnungsgemäße Insolvenzabwicklung. Das Besitzrecht des Insolvenzverwalters habe absoluten Vorrang vor dem Sicherungsinteresse der Strafverfolgungsbehörden. Durch die Sicherstellung werde die ordnungsgemäße Insolvenzabwicklung unmöglich gemacht zum Schaden aller Insolvenzgläubiger. Dies könne nicht hingenommen werde. Die Staatsanwaltschaft sei ohnehin berechtigt, zum Zwecke der Aufklärung von Straftatbeständen Ablichtungen von Unterlagen zu verlangen oder Einsicht in die Geschäftsunterlagen zu nehmen. Deshalb sei eine Durchsuchung eine völlig überzogene und unverhältnismäßige Maßnahme. Der Insolvenzverwalter sei auch gehalten, den Ermittlungsbehörden Einsicht in die Geschäftsunterlagen zu ...