Leitsatz (amtlich)
1. Auch in straßenverkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren dient der Ansatz der Mittelgebühr als Ausgangspunkt und hiervon ausgehend die Würdigung der in jedem Einzelfall gegebenen Umstände für die Bestimmung der anwaltlichen Gebühren nach § 14 RVG. Eine "generelle" Einstufung der anwaltlichen Gebühren unterhalb der Mittelgebühr in diesen Verfahren wegen der regelmäßig geringfügigeren Geldbußen, der mäßigen Bedeutung für den Betroffenen, dem allgemein geringeren Umfang und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist rechtlich bedenklich.
2. Die individuelle fahrerlaubnisrechtliche Situation des Betroffenen kann eine gesteigerte "Bedeutung der Angelegenheit" im Sinne des § 14 RVG begründen, wenn wie hier nicht nur lediglich die Eintragung eines Punktes im Verkehrszentralregister drohte, sondern sich der Betroffene mit dieser Eintragung im Hinblick auf die bestehenden Voreintragungen von 14 Punkten im Verkehrszentralregister der zwingenden Fahrerlaubnisentziehung aus § 4 Abs. 3 Ziffer 3 StVG weiter angenähert hätte.
3. Die Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV-RVG fällt in Bußgeldverfahren nur einmal an.
Verfahrensgang
AG St. Wendel (Entscheidung vom 17.08.2012) |
StA Saarbrücken (Aktenzeichen 63 Js 1075/12) |
Tenor
In Abänderung des angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 14.09.2012 werden die von der Landeskasse dem früheren Betroffenen zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 796,23 EUR (in Worten: siebenhundertsechsundneunzig 23/100) festgesetzt.
2.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde des Betroffenen als unbegründet verworfen.
3.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und seine notwendigen Auslagen trägt der Beschwerdeführer, soweit die Beschwerde unbegründet ist. Im Übrigen fallen die Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers der Landeskasse zur Last.
Gründe
I.
Die Zentrale Bußgeldbehörde beim Landesverwaltungsamt des Saarlandes legte dem Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 21.03.2012 zur Last, außerhalb geschlossener Ortschaften mit einem PKW die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 22 km/h überschritten zu haben. Die Ordnungswidrigkeit wurde mit einem über dem Regelsatz nach Ziffer 11.3.4 (70,--EUR) der Verordnung über die Erteilung einer Verwarnung, Regelsätze für Geldbußen und die Anordnung eines Fahrverbots wegen Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr (BKatV) liegenden Bußgeld von 90,--EUR geahndet.
Gegen den Bußgeldbescheid legte der Beschwerdeführer - erstmals im Verfahren anwaltlich vertreten - am 30.03.2012 Einspruch ein (BI. V d.A.). Eine weitere Stellungnahme oder Einspruchsbegründung erfolgte im Zwischenverfahren nicht.
Das Amtsgericht St. Wendel bestimmte mit Verfügung vom 15.06.2012 Termin zur Hauptverhandlung für den 17.08.2012 (BI. 35 d.A.).
Am 02.08.2012 beantragte der Verteidiger Akteneinsicht (BI. 38 d.A.).
Mit Schriftsatz vom 14.08.2012 regte der Verteidiger an, den Betroffenen im Beschlusswege nach § 72 OWiG freizusprechen bzw. hilfsweise, das Verfahren aus Opportunitätsgründen einzustellen. Zur Begründung trägt er unter Zitierung einer Entscheidung des Amtsgerichts Lübben vom 16.03.2010 vor, es fehle an einer nachvollziehbar gekennzeichneten Fotolinie bei der Messung mit dem Gerät ESO 3.0. Die Messung sei daher nicht verwertbar.
Am 17.08.2012 fand die Hauptverhandlung gegen den erheblich straßenverkehrsrechtlich vorbelasteten Betroffenen vor dem Amtsgericht St. Wendel statt. Der Betroffene schwieg zu dem Tatvorwurf. Das Amtsgericht sprach den Betroffenen - offenbar aufgrund fehlender Überzeugung von der Fahrereigenschaft - frei.
Mit Schriftsatz vom 27.08.2012 hat der Verteidiger die Festsetzung der Gebühren beantragt,
wobei hinsichtlich der Ziffern 5100, 5103, 5109 und 5110 die Mittelgebühren in Ansatz gebracht wurden:
Gebührennummer nach RVG-VV |
Bezeichnung |
Gebühr |
5100 |
Grundgebühr |
85,--EUR |
5103 |
Verfahrensgebühr bei einer Geldbuße von 40,--EUR bis 5.000,--EUR |
135,--EUR |
5109 |
Verfahrensgebühr bei einer Geldbuße von 40,--EUR bis 5.000,--EUR |
135,--EUR |
5110 |
Terminsgebühr je Hauptverhandlungstag |
215,--EUR |
7005 |
Tage- und Abwesenheitsgeld |
20,--EUR |
7003 |
Geschäftsreise, Benutzung eigener PKW |
24,60 EUR |
7002 |
Pauschale |
40,--EUR |
7000 |
Ablichtungen |
22,50 EUR |
|
Akteneinsichtspauschale |
12,--EUR |
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Zwischensumme |
689,10,--EUR |
7008 |
19% Umsatzsteuer |
130,93 EUR |
|
Summe |
820,03 EUR |
Nach Anhörung des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Saarbrücken hat das Amtsgericht St. Wendel mit dem angefochtenen Beschluss vom 14.09.2012 die zu erstattenden Kosten auf insgesamt 593,93 Euro festgesetzt.
In seiner Begründung führt das Amtsgericht aus, Verkehrsordnungswidrigkeiten seien im Vergleich zu sonstigen Bußgeldverfahren aufgrund der regelmäßig geringen Bußgeldhöhe, der mäßigen Bedeutung für den Betroffenen, dem allgemein geringen Umfang und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit generell in die unteren Skalen aller Bußgeldverfahren einzustufen und daher sei eine Gebühr deutlich unterhalb der Mittelgebühr als angemessen anzusehen.
Auch habe der Verhandlungstermin nur 20 Min...