Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftungsabwägung. Betriebsgefahr des stehenden Fahrzeugs. Gebot der allgemeinen Rücksichtnahme
Leitsatz (amtlich)
Kommt es beim Rückwärtsfahren auf einem Parkplatz zu einer Kollision mit einem Fahrzeug, das zuvor bis zum Stillstand abgebremst worden ist, tritt die Betriebsgefahr des stehenden Fahrzeugs bei der Haftungsabwägung nach § 17 Abs. 1, 2 StVG nur dann vollständig zurück, wenn das Verschulden des Rückwärtsfahrenden durch besondere Umstände erschwert ist (Fortführung Kammer, Urteil vom 09.07.2010 – 13 S 61/10).
Normenkette
StVG § 17 Abs. 1-2; StVO § 9 Abs. 5; StVG § 7 Abs. 1; VVG § 115; BGB § 276; StVO § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Saarbrücken (Urteil vom 11.01.2011; Aktenzeichen 5 C 94/10 (03)) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 11.01.2011 – 5 C 94/10 (03) – wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Der Kläger beansprucht restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 30.03.2009 auf dem Parkplatz des Lidl-Einkaufsmarktes in … ereignet hat.
Der Kläger hatte sein Fahrzeug zunächst in einer Parktasche auf dem Parkplatz des Einkaufsmarktes geparkt. In einer schräg gegenüberliegenden, durch eine Fahrgasse getrennten Parktasche stand die Erstbeklagte mit ihrem Fahrzeug, das bei der Zweitbeklagten haftpflichtversichert ist. Die Erstbeklagte kollidierte beim Rückwärtsausparken mit dem Fahrzeug des Klägers. Der von dem Kläger beauftragte außergerichtliche Sachverständige bezifferte in seinem Schadensgutachten die Kosten für die Reparatur des klägerischen Fahrzeugs auf 2.931,14 EUR brutto, den Wiederbeschaffungswert auf 1.950,– EUR und den Restwert auf 310,– EUR (Gutachten Bl. 8 d.A.). Für die Gutachtenerstellung wurden dem Kläger 367,41 EUR in Rechnung gestellt. Die Zweitbeklagte hat außergerichtlich auf der Grundlage einer Haftungsteilung insgesamt einen Betrag von 1.018,71 EUR an den Kläger gezahlt.
Der Kläger hat erstinstanzlich den Wiederbeschaffungswert seines Wagens (1.950,– EUR), die Sachverständigenkosten (367,41 EUR) und eine Unkostenpauschale (25,– EUR) abzüglich der außergerichtlichen Zahlung der Beklagten (1.018,72 EUR), mithin 1.328,70 EUR, sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 117,57 EUR geltend gemacht. Er hat behauptet, er sei bereits vollständig aus der Parktasche herausgefahren und nach vorne weggefahren gewesen, als die Erstbeklagte, ohne auf ihn zu achten, rückwärts aus ihrer Parktasche ausgeparkt habe. Obwohl er sein Auto vor der Kollision noch zum Stehen gebracht habe, habe er den Unfall nicht mehr verhindern können. Die Beklagten treffe daher die Alleinhaftung. Den Restwert seines Fahrzeuges brauche er sich nicht anrechnen zu lassen, weil er das Fahrzeug weiter genutzt habe.
Die Beklagten haben vorgetragen, dass beide Fahrzeuge zum gleichen Zeitpunkt rückwärts ausgeparkt seien.
Das Amtsgericht hat der Klage in Höhe von 505,60 EUR in der Hauptsache und 74,25 EUR an außergerichtlichen Anwaltskosten nebst Verzugszinsen stattgegeben. Dabei ist es von einer Haftungsverteilung von 75% zu 25% zulasten der Beklagten ausgegangen. Es hat ausgeführt, die Erstbeklagte sei beim Rückwärtsfahren zur Beachtung der höchsten Sorgfalt verpflichtet gewesen. Bei sorgfältiger Fahrweise habe sie den Kläger sehen müssen. Sie treffe daher die wesentliche Verantwortung an dem Zusammenstoß. Aber auch den Kläger treffe eine Mitschuld an dem Unfall. Es stehe zwar fest, dass das klägerische Fahrzeug vorwärts gefahren sei und beim Zusammenstoß gestanden habe bzw. kurz vorher bis fast zum Stillstand abgebremst worden sei. Da aber nicht nachgewiesen sei, wann der Kläger gebremst habe bzw. wie nahe er an den Parktaschen vorbeigefahren sei, sei nicht ausgeschlossen, dass er durch langsames und bremsbereites Fahren den Zusammenstoß habe vermeiden können. Ausgehend von einem wirtschaftlichen Totalschaden hat das Amtsgericht den ersatzfähigen Fahrzeugschaden auf den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Fahrzeugrestwertes beschränkt.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Anspruch im Umfang der Klageabweisung weiter. Er rügt eine Rechtsverletzung durch das Amtsgericht. Angesichts der Feststellung, dass er sein Fahrzeug aus einer Vorwärtsbewegung rechtzeitig vor der Kollision habe anhalten können und die Erstbeklagte gegen § 9 Abs. 5 StVO verstoßen habe, sei eine Mithaftung nicht gerechtfertigt. Die Schadensberechnung des Amtsgerichts sei fehlerhaft, weil das Amtsgericht entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den Restwert des Fahrzeuges in Ansatz gebracht habe, obwohl der Kläger seinen Pkw nach dem Unfall vom 30.03.2009 zumindest noch bis zum 23.09.2010 nachweislich benutzt habe.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet. Die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts beruht nicht auf einer Rechtsverletzung und die nach § 529 ZPO zugrunde...