Verfahrensgang

AG Stendal (Urteil vom 18.11.2008; Aktenzeichen 3 C 750/09 (3.4))

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgericht Stendal vom 18. November 2008 – 3 C 750/09 (3.4) – abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 500,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten im Wege der Anfechtung Rückzahlung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung.

Auf den Insolvenzantrag vom 11.12.2007 eröffnete das Amtsgericht Stendal mit Beschluss vom 28.4.2008 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Die Beklagte vereinnahme am 13.9.2007 im Wege der Zwangsvollstreckung einen Betrag von 1 000,00 EUR an Sozialversicherungsbeiträgen. Die Hälfte dieser Summe entfiel auf die Arbeitnehmeranteile. Die andere Hälfte zahlte die Beklagte auf die Zahlungsaufforderung des Klägers am 28.5.2008 auf das Massekonto zurück. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 500,00 EUR nebst Zinsen verurteilt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Vollstreckungshandlung der Beklagten vom 13.9.2007 zu einer Gläubigerbenachteiligung geführt habe. Denn auch die Arbeitnehmerbeiträge der Sozialversicherungsbeiträge gehörten zum Vermögen des Arbeitgebers. Daran ändere die Neuregelung in § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV nichts, weil sie zeitlich keine Anwendung finde. Ungeachtet dessen griffe sie nicht Platz, weil sie nur für Zahlungen, nicht aber für Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gelte.

Hiergegen wendet sich die vom Amtsgericht zugelassene Berufung der Beklagten. Mit ihr macht sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens geltend, eine Anfechtung scheide mangels objektiver Gläubigerbenachteiligung aus. Die Arbeitnehmeranteile gehörten nach § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV nicht zum Vermögen des Schuldners. Diese Vorschrift sei auch anwendbar, weil das Anfechtungsrecht erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens – also nach dem Inkrafttreten der Neuregelung zum 1.1.2008 – entstanden sei. Die Insolvenzfestigkeit der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung sei im Rahmen der Neuregelung das Anliegen des Gesetzgebers gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Amtsgerichts Stendal – Gesch.-Nr. : 3 C 750/08 (3.4) – aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und führt unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens aus, die Neuregelung in § 28 Abs. 1 S. 2 SGB IV schließe eine Gläubigerbenachteiligung nicht aus. Ein fiktives Treuhandverhältnis des Arbeitgebers im Hinblick auf die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung setze eine Vermögenstrennung voraus. Sie liege aber nicht vor, weil der Arbeitgeber Lohn und Sozialversicherungsbeiträge aus seinem Vermögen bezahle. Selbst wenn man die Separierung des Geldbetrages in der „juristischen Sekunde” der Zahlung/Anweisung hierfür ausreichen lassen wollte, liege insofern eine anfechtbare, mittelbare Gläubigerbenachteiligung vor.

Im Übrigen finde die Neuregelung im SGB im vorliegenden Fall keine Anwendung.

Hierfür sei erforderlich, dass anzufechtende Rechtshandlung und Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach dem Inkrafttreten am 1.1.2008 lägen.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten Bezug genommen. Die Parteien haben sich schriftsätzlich mit der Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach §§ 525, 128 Abs. 2 ZPO einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die – zugelassene – Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und auch begründet worden (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO).

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg, weil das Urteil des Amtsgerichts auf einer entscheidungserheblichen Rechtsverletzung nach § 546 ZPO beruht. Der Kläger kann weder nach §§ 143 Abs. 1 S. 1, 131 Abs. 1 Nr. 1, 129 InsO noch aus einem anderen Rechtsgrund die durch Zwangsvollstreckung von der Beklagten vereinnahmten Arbeitnehmeranteile des Schuldners anfechten. Nach diesen Vorschriften ist zur Insolvenzmasse zurückzugewähren, was ein Dritter vom Schuldner durch eine gläubigerbenachteiligende Handlung erlangt hat, auf die jedenfalls in der Art kein Anspruch bestand, wenn die Handlung binnen drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zu dieser Zeit zahlungsunfähig war.

Zwar liegt in der von der Beklagten betriebenen Maßnahme der Vollstreckung eine Rechtshandlung vor, weil es sich um eine bewusste Willensbetätigung handelt, die eine rechtliche Wirkung auslöst (vgl. Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., § 129, Rn. 35). Hierbei hand...

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