Entscheidungsstichwort (Thema)
Weisungsbeschwerde und Beschwerde. Amtsnotar. Abführung eines Anteils der Beurkundungsgebühren an die Staatskasse zur Finanzierung staatlicher Aufgaben. Steuern im Sinn der Gesellschaftsteuerrichtlinie 69/335/EWG. EuGH hat abschließende Entscheidungsbefugnis über die Auslegung des EG-Vertrags. Abgabe, die sich nach den gesamten Betriebs- und Investitionskosten richtet, unterfällt dem Verbot des Art. 10 Richtlinie 69/335. Überschreitung der Gebühr nach §§ 47, 32 KostO. Gebühren sind Steuern. Höhe der anfallenden Gebühren richtet sich weiterhin ausschließlich nach der Kostenordnung. Kostenansatz verstößt gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht
Leitsatz (redaktionell)
1. Gebühren eines beamteten Notars im Württembergischen Landesteil für die notarielle Beurkundung eines Rechtsgeschäfts, das unter die Gesellschaftsteuerrichtlinie 69/335/EWG fällt – hier die Beurkundung der Kapitalerhöhung und der Satzungsänderung einer GmbH –, stellen eine Steuer im Sinn der Richtlinie dar, wenn der Notar verpflichtet ist, einen Teil dieser Gebühren an den Staat abzuführen, der diese Einnahmen zur Finanzierung seiner Aufgaben verwendet.
2. Soweit eine Gebührenerhebung einer der Gesellschaftsteuerrichtlinie 69/335 widersprechenden Steuererhebung gleich kommt – hier Erhebung der Gebühr nach §§ 47, 32 KostO in Abhängigkeit vom Geschäftswert, nicht vom tatsächlichen Aufwand – fehlt der Einnahme der erforderliche Rechtsgrund. Richtlinienwidrig erhobene Steuern sind nach dem nationalen Recht zu erstatten. Dabei verbietet die Richtlinie 69/335 nicht jegliche Abgabenerhebung, sondern sanktioniert nur deren Höhe, indem sie sie auf Abgaben mit Gebührencharakter, also aufwandsbezogene Gebühren, beschränkt.
3. An der teilweisen Abführung der Gebühren an die Staatskasse hat auch das Gesetz zur Änderung des Landesjustizkostengesetzes und des Landesgesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit nichts geändert. Der Amtsnotar bleibt gem. §§ 10 Abs. 2 S. 1 LJKG n.F. Gläubiger der Beurkundungsgebühren und hat weiterhin einen Teil seines Gebührenaufkommens (15 %) an die Staatskasse abzuführen.
4. Die gesamte Gebühreneinnahme eines staatlichen Notars für die Beurkundung eines von Art. 10c der Gesellschaftssteuerrichtlinie 69/335 erfassten Geschäfts ist eine Steuer im Sinn der Richtlinie, soweit sie den konkret mit der erbrachten Dienstleistung zusammenhängenden Aufwand übersteigt, weil die verwaltungsorganisatorische Eingliederung des beamteten Notars in das Staatswesen zu einer mindestens mittelbaren Teilhabe des Staates an dessen gesamten Gebühreneinnahmen führt.
Normenkette
KostO §§ 47, 32; Gesellschaftsteuerrichtlinie 69/335/EWG Art. 10c; Gesellschaftsteuerrichtlinie 69/335/EWG Art. 12 Abs. 1e; LJKG a.F. § 12 Abs. 1 S. 2, § 14; LFGG § 3 a.F.; LJKG n.F. § 10 Abs. 2 S. 1, § 11 Abs. 1; EGV Art. 234; GmbHG §§ 2, 53 Abs. 2; Gesetz zur Änderung des Landesjustizkostengesetzes und des Landesgesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit Art. 4 § 2
Tenor
1. Auf die Weisungsbeschwerde des Kostengläubigers und die Beschwerde der Kostenschuldnerin wird die Kostenrechnung des Notars …, vom 10.06.2002 (AV-II-02 Nr. 65) insoweit aufgehoben, als darin für die Beurkundung der Beschlüsse einer Kapitalerhöhung und von Satzungsänderungen (I UR Nr. 1147/2002) gem. § 47 KostO eine Gebühr in Höhe von 1.584,00 EUR zzgl. MwSt. in Ansatz gebracht wurde.
2. Im Umfang der Aufhebung der Kostenrechnung wird die Sache zur erneuten Entscheidung über den Kostenansatz an Notar … zurückgegeben.
3. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Gerichtliche Auslagen und außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
4. Die weitere Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Der Beteiligte Ziff. 1 (staatlicher Notar im Oberlandesgerichtsbezirk Stuttgart) hat in seiner Eigenschaft als öffentlicher Notar Beschlüsse in Bezug auf die Beteiligte Ziff. 2 (Kostenschuldnerin) beurkundet und seine Kosten hierzu unter AV – II – 02 Nr. 65 mit insgesamt EUR 2.892,46 (Kostenrechnung vom 10.06.2002 in Anlage 1 zu Bl. 1/8) angesetzt.
Die Beteiligte Ziff. 2 ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Am 08.06.2002 ließen die Vorstandsmitglieder der Einkaufsvereinigung der S.-A. e.G., Sitz K., der alleinigen Gesellschafterin der Kostenschuldnerin, vom Beteiligten Ziff. 1 unter UR-Nr. 1147/2002 folgende Beschlüsse der Kostenschuldnerin beurkunden (Anlage 6 zu Bl. 1/8):
- Zusammenlegung von Geschäftsanteilen zu einem einheitlichen Geschäftsanteil im Nennbetrag von … DM
- Umstellung des Stammkapitals und der Geschäftsanteile der Gesellschaft auf Euro
- Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln um … EUR auf … EUR
- Namensänderung der Gesellschaft
Hierfür setzte der Beteiligte Ziff. 1 unter dem 10.06.2002 Kosten zu folgenden Werten an:
a) |
für die Zusammenlegung der Geschäftsanteile |
Wert: … EUR |
b) |
für die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln |
Wert: … EUR |
c) |
für die Euroumstellung und Namensänderung (Satzungsänderung) |
Wert: … EUR |
Mit der Kostenrechnung wurden der Kostenschuldnerin die Gebühren und ...