Orientierungssatz
1.
Sind zwischen Vermieter und Mieter zwei Mieterhöhungen im Streit, wovon die zweite auf die erste aufbaut, kann über die erste ohne Verletzung des Prinzips der Widerspruchsfreiheit regelmäßig kein Teilurteil ergehen.
2.
Erhöht ein Vermieter entgegen § 558b BGB die Miete ohne ausdrückliche Zustimmung des Mieters und zieht, ohne den Rechtsweg zu beschreiten, vom Konto des Mieters unabgesprochen die erhöhte Miete ein, ist in dem Schweigen des Mieters auch dann keine (konkludente) Zustimmung zu dem Mieterhöhungsverlangen zu sehen, wenn der Mieter die unerlaubten Abbuchungen längere Zeit widerspruchslos hinnimmt.
3.
Der bereicherungsrechtliche Anspruch des Mieters auf Rückzahlung der unerlaubten Abbuchungen des Vermieters ist nicht allein durch längeres Schweigen verwirkt. Auch für diesen Anspruch gelten die allgemeinen Grundsätze des Zusammenwirkens von Zeit- und Umstandsmoment.
Verfahrensgang
AG Stuttgart (Entscheidung vom 11.02.2011; Aktenzeichen 33 C 5266/10) |
Tenor
1.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Teilurteil des Amtsgerichts S ... aufgehoben. Das Verfahren wird zur Entscheidung über Klage und Widerklage sowie über die Kosten der Berufung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
2.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die klagende Wohnungsgesellschaft begehrt mit der Klage von den beklagten Mietern die Zustimmung zu einer Mieterhöhung im Jahr 2010. Die Beklagten fordern mit der Widerklage die Rückzahlung von Mietbestandteilen, welche die Klägerin unabgesprochen von deren Konto eingezogen hat, nachdem die Klägerin 2007 ein Mieterhöhungsverlangen erklärt hatte, auf das die Beklagten damals geschwiegen hatten. Das Amtsgericht hat im Wege des angefochtenen Teilurteils die Widerklage abgewiesen. Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil gem. § 540 Abs.1 ZPO Bezug genommen. Auf die Darstellung des Berufungsvorbringens wird gem. §§ 540 Abs.2, 313a, 542, 544 ZPO i.V.m. § 26 Nr.8 EGZPO verzichtet.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte und mit einer Begründung versehene Berufung hat den prozessualen Erfolg der Aufhebung des angefochtenen Teilurteils.
1.
Das Teilurteil über die Widerklage erfüllt die prozessualen Voraussetzungen des § 301 ZPO nicht. Zudem liegen die Voraussetzungen für eine Gesamtentscheidung des Rechtsstreits durch das Berufungsgericht nicht vor, zumal die Klage nicht entscheidungsreif ist. Das Teilurteil ist daher gem. § 538 Abs.2 Satz 1 Nr.7, Satz 3 ZPO aufzuheben.
a)
Die Voraussetzungen eines Teilurteils nach § 301 ZPO sind erstens die Teilbarkeit des Streitgegenstandes, zweitens die Entscheidungsreife lediglich eines Teils sowie drittens die Unabhängigkeit des Teilurteils im Sinne einer Widerspruchsfreiheit zum Schlussurteil (ganz h.M., vgl. nur Vollkommer in Zöller, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 28. Auflage, § 301 ZPO Rn 2, 7 m.w.N.). An der dritten Voraussetzung fehlt es hier. Sowohl für die Klage als auch für die Widerklage kommt es entscheidend auf die Vorfrage an, ob die erste Mieterhöhung im Jahr 2007 wirksam war. Grundlage des bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruchs wegen der vom Konto eingezogenen Miete ist das Fehlen eines Rechtsgrundes, also die Unwirksamkeit der einseitig von der Klägerin erklärten Mieterhöhung. Auf die Frage der Wirksamkeit der ersten Mieterhöhung kommt es aber auch für die Beurteilung der zweiten im Jahr 2010 an, welche auf die erste aufbaut. Dies nicht zuletzt wegen der Kappungsgrenze des § 558 Abs.3 BGB, weil die Klägerin in der Summe der beiden Mieterhöhungsverlangen die Miete um mehr als 20% anheben möchte. Über die Frage der Wirksamkeit der ersten Mieterhöhung kann nur einheitlich für Klage und Widerklage entschieden werden, weswegen eine Teilentscheidung insoweit die nach § 301 ZPO gebotene Widerspruchsfreiheit nicht garantieren kann (vgl. BGH NJW-RR 2005, 22; NJW 2009, 1824).
b)
Die Frage der Wirksamkeit der ersten Mieterhöhung kann hier auch nicht ausnahmsweise deswegen teilweise offengelassen und getrennt betrachtet werden, weil der mit der Widerklage geltend gemachte Bereicherungsanspruch im Sinne einer Verwirkung wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben gem. § 242 BGB nicht geltend gemacht werden könnte. Ein Recht ist nur dann verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment) und der Verpflichtete sich auf Grund des Verhaltens des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass jener sein Recht nicht mehr geltend machen werde (Umstandsmoment). Damit ist die Verwirkung ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung aufgrund widersprüchlichen Verhaltens. Zwischen den Verwirkungsumständen und dem erforderlichen Zeitablauf besteht eine Wechselwirkung insofern, als der Zeitablauf umso kürzer sein kann, je gravierender die sonstigen Umstände sind, und dass umgekehrt an diese Umstände desto geringere Anforderungen gestellt werden, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (vgl. BGH NJW 2006, 219). Ob das Zeitmoment für sich genommen...