Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Bürgergeld. Unterkunft und Heizung. Ferienwohnung. Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes. Vorlage eines Schreibens des Vermieters mit der Ankündigung der Beendigung des Mietverhältnisses
Orientierungssatz
1. Unter einer Unterkunft iS von § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 ist jede Einrichtung oder Anlage zu verstehen, die geeignet ist, vor den Unbilden des Wetters bzw der Witterung zu schützen und eine gewisse Privatsphäre (einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren) zu gewährleisten. Ob eine voraussichtlich nur vorübergehende Nutzung beabsichtigt oder die Nutzung eines Objekts zu Wohnzwecken im Vergleich mit anderen Leistungsberechtigten nach dem SGB 2 üblich ist (hier: Anmietung einer Ferienwohnung), ist insoweit nicht entscheidend (vgl BSG vom 19.5.2021 - B 14 AS 19/20 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 114 RdNr 18 mwN.).
2. Ein Anordnungsgrund kann durch die Vorlage eines Schreibens des Vermieters, wonach dieser angekündigt hat, bei Nichtzahlung der Miete von seinem Hausrecht Gebrauch zu machen und das Mietverhältnis zu beenden, glaubhaft gemacht werden.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 15. März 2023 aufgehoben. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern vorläufig Bürgergeld nach dem SGB II für die Zeit vom 9. März 2023 bis zum 31. März 2023 in Höhe von insgesamt 1.148,06 EUR sowie für die Zeit vom 1. Mai 2023 bis zum 31. August 2023, längstens jedoch bis zur Bestandskraft des Bescheides vom 7. März 2023, in Höhe von insgesamt 536,22 EUR monatlich zu gewähren.
Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Instanzen.
Gründe
Die nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, nach § 173 SGG form- und fristgerecht am 21. März 2023 bei dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg (SG) vom 15. März 2023 (dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller am 20. März 2023 zugestellt) ist begründet.
Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist der Bescheid vom 7. März 2023, mit welchem der Antragsgegner den Antragstellern Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. März 2023 bis 31. August 2023 vorläufig in Höhe von insgesamt 373,48 EUR monatlich bewilligt hat, wobei er Kosten für Unterkunft und Heizung in der Höhe der örtlichen Mietobergrenze von insgesamt 678 EUR berücksichtigt hat. Mit ihrem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz begehren die Antragsteller die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft - bei der es sich um eine Ferienwohnung handelt - in Höhe von 1.790 EUR. Das SG hat den Antrag mit dem angefochtenen Beschluss vom 15. März 2023 abgelehnt. Dagegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde. Zum 1. April 2023 hat die Antragstellerin zu 1 eine neue Erwerbstätigkeit aufgenommen, aus welcher sie ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 2.455,78 EUR erzielt. Dem Antragsteller zu 2 ist hingegen zuletzt im April 2023 ein Nettoeinkommen in Höhe von 1.396,57 EUR zugeflossen, er ist seitdem arbeitslos. Den mit Beschluss vom 9. Mai 2023 von der Berichterstatterin unterbreiteten Vergleichsvorschlag hat der Antragsgegner im Hinblick auf die Entstehung einer Einigungsgebühr abgelehnt.
Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1, für Vornahmesachen in Abs. 2. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Dabei haben sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache zu orientieren (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 13. April 2010 - 1 BvR 216/07 - juris Rdnr. 64; BVerfG, Beschluss vom 6. August 2014 - 1 BvR 1453/12 - juris Rdnr. 9). Eine Folgenabwägung ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn eine Prüfung der ...