Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Vollziehung der einstweiligen Anordnung nur bei vollstreckungsfähigem Titel. Sozialhilfe nach der Besonderheit des Einzelfalls. Eingliederungshilfe. Wunsch nach Verbleib in bisheriger Einrichtung. unverhältnismäßige Mehrkosten. Kostenvergleich
Leitsatz (amtlich)
1. Die Vollziehung einer einstweiligen Anordnung bedarf eines vollstreckungsfähigen Titels; fehlt es der Entscheidung an einem vollstreckbaren Inhalt, greift die Vollziehungsfrist des § 86b Abs 2 S 4 SGG iVm § 929 Abs. 2 ZPO nicht (Fortführung LSG Stuttgart vom 15.12.2008 - L 7 SO 4639/08 ER-B).
2. Der Mehrkostenvorbehalt des § 9 Abs 2 S 3 SGB 12 setzt zunächst Alternativen zur Bedarfsdeckung voraus. Selbst wenn solche Alternativen bestehen, dh wenn bei behinderungsbedingt notwendiger stationärer Unterbringung Einrichtungen vorhanden sind, die zur eingliederungshilferechtlichen Betreuung objektiv gleich gut geeignet und dazu auch bereit sind, kommt ein Mehrkostenvergleich erst zum Tragen, wenn die entsprechenden Hilfsangebote dem Hilfesuchenden zumutbar sind.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 15. Februar 2010 wie folgt abgeändert und teilweise neu gefasst: Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin in der Zeit vom 1. Mai 2010 bis 28. Februar 2011 vorläufig, längstens jedoch bis zum Abschluss des Klageverfahrens S 5 SO 2894/09, Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für die vollstationäre Unterbringung der Antragstellerin im Wohnheim H.str. …, T., der Körperbehindertenförderung N.-A. in Höhe von kalendertäglich 86,17 Euro (Mai und Juni 2010) sowie von kalendertäglich 87,82 Euro (ab Juli 2010) zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe
Die unter Beachtung der Vorschriften der §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - (in der hier noch anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 ≪BGBl. I S. 444≫) eingelegte Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig, jedoch lediglich aus dem im Beschlusstenor ersichtlichen Umfang auch begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG).
Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Senat geht - wie sinngemäß bereits das Sozialgericht Reutlingen (SG) im angefochtenen Beschluss - unter Anlegung des objektiven Maßstabs eines verständigen Erklärungsempfängers (vgl. Bundessozialgericht ≪BSG≫ BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr. 2) davon aus, dass der Antragsgegner mit dem im Hauptsacheverfahren (S 5 SO 2894/09) angefochtenen Bescheid vom 25. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. August 2009 nicht bloß eine bis 30. Juni 2009 befristete Kostenzusage ausgesprochen, sondern darüber hinaus die weitere Übernahme der Kosten für das Wohnheim H.str., T., der Körperbehindertenförderung N.-A. (KBF) sowie für die Förder- und Betreuungsgruppe in T. der Werkstatt für behinderte Menschen G. abgelehnt hat; ohnehin dürfte eine Leistungsbewilligung unter einer - u.U. mit der isolierten (Teil-)Anfechtungsklage angreifbaren (vgl. hierzu Engelmann in von Wulffen u.a., Zehntes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB X≫, 6. Auflage, § 32 Rdnrn. 34 ff. ≪m.w.N.≫) - Nebenbestimmung hier nur unter den Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 SGB X rechtlich zulässig sein. Dass im Übrigen auch die Antragstellerin die oben genannten Bescheide im vorbezeichneten Sinn verstanden hat, ergibt sich aus dem im Klageverfahren gestellten Sachantrag (vgl. den dortigen Schriftsatz vom 2. November 2009). Mithin war der einstweilige Rechtsschutz - wie vorliegend geschehen - nicht über § 86b Abs. 1 SGG, sondern über Abs. 2 a.a.O., zu suchen.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist sonach statthaft und zulässig. Zur Begründetheit des Antrags bedarf es des Vorliegens der Anordnungsvoraussetzungen (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164); eine einstweilige Anordnung darf demnach nur erlassen werden, wenn sowohl der Anordnungsanspruch als auch der An...