Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund. Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. Leistungsberechtigung nach § 61 Abs 1 S 2 SGB 12. stationäre Pflege. Erforderlichkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Aufgrund des Erforderlichkeitsvorbehalts in § 61 Abs 1 S 2 Halbs 2 SGB 12 ist das Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten eingeschränkt.
2. Stationäre Pflege im Sinne des § 61 Abs 1 Satz 2 Halbs 2 SGB 12 ist erforderlich, wenn nach den Besonderheiten des Einzelfalls die individuellen Betreuungs- und Pflegemöglichkeiten im eigenen Wohnbereich des Hilfebedürftigen nicht ausreichen oder nicht sichergestellt werden können oder von den Familienangehörigen nicht bereit gestellt werden (Anschluss an OVG Weimar vom 23.12.2011 - 3 KO 251/08 = NDV-RD 2012, 68).
3. Zur Herabsetzung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs bei der Prüfung der Erfolgsaussichten sowie der Eilbedürftigkeit im Rahmen des § 86b Abs 2 SGG.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 21. September 2011 abgeändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin in der Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2012 vorläufig, längstens jedoch bis zum Abschluss des Klageverfahrens S 14 SO 4614/09, Hilfe zur Pflege durch Übernahme der ungedeckten Kosten für ihre vollstationäre Unterbringung im ASB Seniorenzentrum City-Park, Bad M., unter Zugrundelegung eines Tagessatzes von 74,94 Euro abzüglich Einkommen in Form eines Wohngeldes von monatlich mindestens 66,00 Euro sowie einer Rentenleistung von monatlich mindestens 730,35 Euro zuzüglich eines Barbetrags von 100,98 Euro zu gewähren. Der Antragsgegner darf die Leistungsgewährung von der Vorlage der jeweiligen Rechnungen des Einrichtungsträgers sowie des Weiteren davon abhängig machen, dass die Antragstellerin ihm bis spätestens 22. August 2012 ihre gegenwärtigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse darlegt und bis dahin entsprechende Nachweise, z.B. die Rentenanpassungsmitteilungen (per 1. Juli 2011 und 1. Juli 2012) und die für die Zeit ab Februar 2012 maßgeblichen Wohngeldbescheide, einreicht.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten im Beschwerdeverfahren zu erstatten; im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
Die unter Beachtung der Vorschriften der §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegte Beschwerde der Antragsstellerin ist zulässig, jedoch lediglich aus dem im Beschlusstenor ersichtlichen Umfang auch begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG).
Vorliegend kommt, wie vom Sozialgericht Heilbronn (SG) zutreffend erkannt, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 2. Alt. SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen ab, nämlich dem Anordnungsanspruch und dem Anordnungsgrund (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf mithin grundsätzlich nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Denn die Regelungsanordnung dient zur “Abwendung„ wesentlicher Nachteile mit dem Ziel, dem Betroffenen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller - noch bestehender - Notlagen notwendig sind (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B -, 28. März 2007 - L 7 AS 121/07 ER-B - und 2. September 2010 - L 7 SO 1357/10 ER-B- ≪alle juris≫). Es ist nicht Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzes, Angelegenheiten, die nicht dringlich sind, einer Regelung, die ohnehin nur vorläufig sein kann, zuzuführen; in derartigen Fällen ist dem Antragsteller vielmehr ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache zumutbar (vgl. Senatsbeschlus...