Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Auslagenvergütung. gerichtlich angeordnete Untersuchung. Kosten für eine Begleitperson. Vertrauensschutz. notwendige bare Auslagen. Entschädigung für Zeitversäumnis
Leitsatz (amtlich)
1. Die Kosten für eine Begleitperson im Rahmen einer gerichtlich angeordneten Untersuchung können auch bei fehlender objektiver Notwendigkeit aus Vertrauensschutzgründen zu entschädigen sein, wenn der Sachverständige in der Einladung zur Untersuchung zur Mitnahme einer Vertrauensperson auffordert.
2. Die Kosten für die Begleitperson nach § 7 Abs 1 S 2 JVEG sind die notwendigen baren Auslagen des Herangezogenen. Eine Entschädigung nach Pauschalen wie § 6 JVEG aber auch eine Begrenzung des Verdienstausfalls nach Maßgabe des § 22 JVEG findet nicht statt.
3. Eine Entschädigung für Zeitversäumnis ist nur dann zu gewähren, wenn durch die Teilnahme an dem Gerichtstermin ein Nachteil entstanden ist. Bei Beteiligten des Verfahrens können eventuelle Einschränkungen in der Freizeitgestaltung infolge der Wahrnehmung eines Gerichtstermins idR nicht als entschädigungspflichtiger Nachteil angesehen werden.
Tenor
Die Entschädigung der Antragstellerin anlässlich der Wahrnehmung des Untersuchungstermins am 10.04.2024 wird auf 420,56 € festgesetzt.
Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt eine (höhere) Entschädigung wegen der Teilnahme an einem Untersuchungstermin im Rahmen einer gerichtlich angeordneten Begutachtung.
Im Berufungsverfahren L 5 R 1448/23 begehrte die Antragstellerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Von Amts wegen wurde der Facharzt D1 zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit ihrer Begutachtung aufgrund ambulanter Untersuchung beauftragt. In seinem Einladungsschreiben an die Antragstellerin zum Untersuchungstermin war folgender, fett gedruckter Absatz enthalten: „Bitte bringen Sie zu Ihrem Termin Ihre Röntgenbilder + CDs sowie eine Vertrauensperson Ihrer Wahl mit.“ Die Klägerin erschien zum Untersuchungstermin am 10.04.2024 in Begleitung ihres Ehemannes.
Mit ihrem am 04.06.2024 eingegangenen Antrag auf Entschädigung hat die Antragstellerin Fahrtkosten für die Fahrt mit dem Pkw (546 km), Verdienstausfall für ihren Ehemann i.H.v. 215,46 € (unter Vorlage einer Bestätigung seines Arbeitgebers) sowie Aufwand/Zehrkosten i.H.v. 50 € geltend gemacht und die Zeit ihrer Abwesenheit von der Wohnung mit 7.30 bis 17.15 Uhr angegeben. Auf Nachfrage hat der Sachverständige dargelegt, dass die Anwesenheit einer Begleitperson nicht erforderlich, aber von ihm gewünscht gewesen sei. Prinzipiell wünsche er die Anwesenheit einer Vertrauensperson bei der Begutachtung einer Frau, da er niemals durch eine eventuelle diesbezügliche Aussage in den Verdacht geraten wolle, bei der körperlichen Untersuchung sexistische Handlungen vorgenommen zu haben.
Mit Kostenfestsetzung vom 25.06.2024 hat die Urkundsbeamtin die zu erstattenden Kosten auf 245,10 € festgesetzt. Dabei hat sie eine Kilometerpauschale i.H.v. 191,10 € (546 km x 0,35 €), Tagegeld i.H.v. 14 € und 40 € für Freizeitausgleich (10 Stunden à 4 €) berücksichtigt. Die Kosten für eine Begleitperson könnten nicht erstattet werden, da der Sachverständige die Notwendigkeit einer Begleitperson aus gesundheitlichen Gründen nicht bescheinigt habe.
Mit ihrem Antrag auf richterliche Kostenfestsetzung hat die Antragstellerin unter Hinweis auf das Einladungsschreiben des Sachverständigen dargelegt, dass sie mit der Ablehnung der Kostenerstattung für die Begleitperson nicht einverstanden sei.
Der Antragsgegner hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass der Wunsch des Sachverständigen, sich vor etwaigen Anschuldigungen hinsichtlich sexueller Handlungen zu schützen, nicht im Geringsten eine pauschale Erforderlichkeit einer Begleitperson zu Lasten der Staatskasse begründe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte und die beigezogene Akte L 5 R 1448/23 Bezug genommen.
II.
Die der Antragstellerin zustehende Entschädigung ist auf 420,56 € festzusetzen.
Über den Antrag auf richterliche Festsetzung nach § 4 Abs. 1 (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz, JVEG) entscheidet der nach dem Geschäftsverteilungsplan für Kostensachen zuständige 10. Senat des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg nach § 4 Abs. 7 Satz 3 JVEG durch seine berufsrichterlichen Mitglieder ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter, da die Einzelrichterin das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen hat.
Bei der Entscheidung sind alle für die Bemessung der Entschädigung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie angegriffen worden sind. Bei der Festsetzung ist das Gericht weder an die Höhe der Einzelansätze noch an die Gesamthöhe der Festsetzung durch die Urkundsbeamtin oder den Antrag der Beteiligten gebunden. Das Verbot der „reformatio in peius“, das sog. Verschlechterungsverbot, gilt nicht. Das Geri...