Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsgrund. Glaubhaftmachung. minderjähriges Kind. fehlende Angaben zu den eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowie zu denen der unterhaltspflichtigen Eltern
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Anordnungsgrund besteht nicht, wenn der Antragsteller jedenfalls gegenwärtig auf eigene Mittel oder zumutbare Hilfe Dritter zurückgreifen kann, etwa zur Vorfinanzierung. Zumutbare Hilfe Dritter kann auch in der Beschaffung eines Darlehens zum Zwecke der Vorfinanzierung bestehen.
2. Bei der Frage des Anordnungsgrundes können auch Mittel Berücksichtigung finden, die bei der materiellen Frage der Hilfebedürftigkeit außen vor bleiben müssen, weil es sich um Schonvermögen oder nicht zu berücksichtigendes Einkommen handelt oder weil es sich generell nicht um eine bedarfsabhängige Leistung handelt.
Orientierungssatz
1. Trägt der Antragsteller zu seiner eigenen Einkommens- und Vermögenssituation nichts vor, ist ein Anordnungsgrund bereits deswegen nicht glaubhaft gemacht (vgl LSG Erfurt vom 20.6.2014 - L 6 R 512/14 B ER).
2. Ein Minderjähriger kann sich nicht darauf beschränken, auf seine eigene Vermögenslosigkeit hinzuweisen; er muss vielmehr glaubhaft machen, dass auch Einkommen und Vermögen der unterhaltspflichtigen Personen nicht hinreichend vorhanden ist (vgl BVerfG vom 21.9.2016 - 1 BvR 1825/16 und vom 27.7.2016 - 1 BvR 1241/16 = NZS 2016, 863).
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 20. Januar 2017 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
1. Die Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig.
2. Die Beschwerde der 2011 geborenen und insbesondere unter einer frühkindlichen Autismusstörung und unter kombinierten Entwicklungsstörungen leidenden Antragstellerin, mit der sie die Verpflichtung des Antragsgegners begehrt, vorläufig Eingliederungshilfe in Form der autismusspezifischen Therapie “nach ABA„ (angewandte Verhaltensanalyse) beim Anbieter Bautismus zu gewähren, ist aber unbegründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Dabei dürfen sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss des Ersten Senats vom 13. April 2010 - 1 BvR 216/07 - juris Rdnr. 64; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. August 2014 - 1 BvR 1453/12 - juris Rdnr. 9). Eine Folgenabwägung ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn eine Prüfung der materiellen Rechtslage nicht möglich ist (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. September 2016 - 1 BvR 1335/13 - juris Rdnr. 20).
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt (vgl. Landessozialgericht [LSG] Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 - L 15 AS 365/13 B ER - juris Rdnr. 18; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Januar 2007 - L 7 SO 5672/06 ER-B - juris Rdnr. 2). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 - L 15 AS 365/13 B ER - juris Rdnr. 18; Hessisches LSG, Beschluss vom 5. Februar 2007 - L 9 AS 254/06 ER - juris Rdnr. 4). Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. Auch dann kann aber nicht gänzlich auf ein...