Leitsatz (amtlich)
1. Eine dem medizinischen Sachverständigen zustehende Vergütung überschreitet den gem. § 109 SGG eingezahlten Vorschuss erheblich, wenn sie mindestens 20 % des Vorschusses beträgt. Für die Erheblichkeit der Überschreitung kommt es darauf an, was dem medizinischen Sachverständigen als Vergütung objektiv zustehen würde, nicht darauf, was er als Vergütung geltend gemacht hat.
2. Stellt der Sachverständige im Laufe der Vorbereitung oder der Gutachtenserstellung fest, dass der Vorschuss nicht ausreichen wird, darf er dann nicht weiterarbeiten, sondern muss sofort das Gericht informieren und dessen Antwort abwarten.
3. § 8a Abs. 4 JVEG ist nicht dahin einschränkend auszulegen, dass die Kürzung der Vergütung des Sachverständigen unterbleibt, wenn davon auszugehen ist, dass es auch bei pflichtgemäßer Anzeige gemäß § 407a Abs. 4 Satz 2, 2. Var. ZPO zu einer Fortsetzung seiner Tätigkeit gekommen wäre.
4. Bei einer erheblichen Überschreitung des Vorschusses ist die Vergütung des Sachverständigen auf den Betrag des Vorschusses zu kappen ohne einen Aufschlag bis zur Erheblichkeitsgrenze.
Tenor
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 11.09.2023 abgeändert und die Vergütung des Antragstellers für sein Gutachten vom 25.05.2023 im Verfahren S 2 R 178/21 auf 1.500 € festgesetzt.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Höhe der Festsetzung des Honoraranspruchs des Antragstellers für sein gerichtliches Sachverständigengutachten.
In dem beim Sozialgericht Mannheim (SG) anhängig gewesenen Rechtsstreit S 2 R 178/21 ging es um die Gewährung von Erwerbsminderungsrente. Am 13.09.2022 wurde der Antragsteller auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit der Erstattung eines Gutachtens nach ambulanter Untersuchung beauftragt. Der Kostenvorschuss belief sich auf 1.500 €. Der Gutachtensauftrag enthielt den Hinweis, dass der Sachverständige rechtzeitig darauf hinweisen müsse, wenn voraussichtlich Kosten erwüchsen, die den angeforderten Kostenvorschuss erheblich überstiegen, und es zu einer Kürzung der Sachverständigenvergütung führen könne, wenn ein rechtzeitiger Hinweis unterbleibe. Der Antragsteller erstattete am 25.05.2023 sein fachärztliches Gutachten.
Mit Rechnung vom 28.05.2023 hat er insgesamt eine Vergütung i.H.v. 2.840,06 € gefordert (25 Stunden à 100 €, Kosten für eine Hilfskraft i.H.v. 280 €, Schreibgebühren 37,06 €, Porto 12,40 €).
Mit Schreiben vom 06.06.2023 hat der Kostenbeamte die Vergütung auf 1.800 € festgesetzt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die geltend gemachte Vergütung den Kostenvorschuss um fast 90 % übersteige und ein rechtzeitiger Hinweis des Sachverständigen hierauf nicht erfolgt sei. Das Honorar sei daher auf den um 20 % erhöhten Vorschuss, mithin 1.800 €, zu kürzen (unter Hinweis auf Landessozialgericht - LSG - Schleswig-Holstein 18.01.16, L 5 AR 44/14 KO).
Mit seinem Antrag auf richterliche Kostenfestsetzung hat der Antragsteller zum Ausdruck gebracht, dass er die Kürzung für völlig unangemessen und unbegründet halte, die Kosten für das sehr komplexe Gutachten seien entstanden. Aufgrund der zuvor nicht erkennbaren Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung mit dissoziativen Anfällen und Zuständen der Klägerin, auch in der Gutachtenssituation, seien zusätzliche Termine und eine aufwendige Diagnostik erforderlich geworden, was vorher nicht absehbar gewesen sei und sich erst in der Begutachtung herausgestellt habe. Auch eine Tumoroperation könne nicht einfach abgebrochen werden, wenn sich unter Vollnarkose des Patienten herausstelle, dass der Eingriff komplizierter und aufwendiger sei.
Mit Beschluss vom 11.09.2023 hat das SG die Vergütung des Antragstellers für sein Gutachten vom 25.05.2023 auf 1.800 € festgesetzt. Die Voraussetzungen für die Kürzung des Vergütungsanspruchs des Antragstellers nach § 8a Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz - JVEG) lägen vor. Der Vortrag des Antragstellers, dass sich die voraussichtlich höheren Kosten erst im Rahmen der Begutachtung herausgestellt hätten und er daher nicht rechtzeitig hierauf habe hinweisen können, sei nicht plausibel. Sobald im Rahmen der Begutachtung die genannten Umstände ersichtlich gewesen seien, hätte der Antragsteller durch eine Mitteilung an das Gericht die Übernahme der voraussichtlich erheblich höheren Kosten noch beantragen können, ein entsprechender Hinweis wäre auch dann noch rechtzeitig gewesen. Im Übrigen hätte dem Antragsteller eine Vergütung ohnehin nur in Höhe von 1.949,46 € zugestanden nach den Grundsätzen der Plausibilitätsprüfung und bei Anwendung der Honorargruppe M2 (90 €). Auch diese Überschreitung sei erheblich i.S.v. § 8a Abs. 4 JVEG, den...