Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. sofortige Vollziehbarkeit. aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen Versagungsbescheide. einstweiliger Rechtsschutz. verfassungskonforme Auslegung. Versagung wegen Verweigerung einer ärztlichen Untersuchung. fehlende Rechtsfolgenbelehrung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Widerspruch und Klage gegen Versagungsbescheide haben aufschiebende Wirkung (argumentum § 39 Nr 1 SGB 2 idF ab 1.1.2009).

2. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gegen Versagungsbescheide ist zusätzlich zu einem Antrag entsprechend § 86b Abs 1 SGG unter Beachtung des Grundsatzes der Effektivität des Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) auch eine einstweilige Anordnung statthaft.

3. Zur Versagung von Arbeitslosengeld II nach den §§ 62, 66 SGB 1 bei Weigerung des Leistungsempfängers, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen.

 

Orientierungssatz

Es bleibt offen, ob § 62 SGB 1 in einem Regelungskonflikt mit der Meldepflicht nach § 59 SGB 2 steht.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 22. Dezember 2009 abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die Klage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 29. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Dezember 2009 aufschiebende Wirkung hat.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab 9. April 2010 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch bis auf Weiteres, längstens jedoch bis 31. Mai 2010 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

 

Gründe

Die gemäß §§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers hat in dem aus dem Beschlussausspruch ersichtlichen Umfang Erfolg.

Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1 a.a.O., für Vornahmesachen in Abs. 2 a.a.O. Das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist - wie nachstehend noch auszuführen sein wird - unter beide Regelungen zu fassen. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Mit seiner - zeitgleich mit der zum Az. S 11 AS 4271/09 beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhobenen Klage wegen des Versagungsbescheids vom 29. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Dezember 2009 - am 14. Dezember 2009 eingegangenen Antragsschrift vom 12. Dezember 2009 hat der Antragsteller beantragt, „seine Klage als Eilsache zu bearbeiten und vorweg einen Beschluss zur Zahlung meiner ausgebliebenen Leistungen anzuordnen.“ Er hat damit, wie die verständige Würdigung dieses Begehrens (vgl. hierzu Bundessozialgericht ≪BSG≫ SozR 4-1500 § 158 Nr. 2; BSG SozR a.a.O. § 151 Nr. 3) ergibt, hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es ihm entgegen der Auffassung des SG nicht allein um eine einstweilige Anordnung geht, sondern dass er Eilrechtsschutz über sämtliche statthaften Rechtsbehelfe suchen wollte. Zwar ist vorrangig in Anfechtungssachen das Eilverfahren nach § 86b Abs. 1 SGG (vgl. Senatsbeschluss vom 5. September 2007 - L 7 AS 3930/07 ER-B -; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Auflage, Rdnr. 271); allerdings sind Ausnahmen hiervon unter Umständen nach dem Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes ≪GG≫) geboten, sodass in solchen Fällen die einstweilige Anordnung (§ 86b Abs. 2 SGG) neben den Eilantrag nach § 86b Abs. 1 SGG tritt. So liegt der Fall hier.

Vorliegend hat die Antragsgegnerin den bereits oben genannten, auf § 66 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) gestützten Bescheid vom 29. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Dezember 2009 erlassen, mit dem die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit (nach Ablauf des vorherigen Bewilligungsabschnitts) ab 1. November 2009 versagt worden ist und gegen welchen sich der Antragsteller im Klageverfahren (S 11 AS 4271/09) grundsätzlich zulässigerweise allein mit der isoli...

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