Leitsatz (amtlich)
Ein von einer Behörde übersandtes Telefax ist kein elektronisches Dokument im Sinne des § 65d SGG und wahrt die Formvorschriften für die Berufung nicht.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil Sozialgerichts Ulm vom 15.03.2023 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren zu erstatten.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten steht die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls im Streit.
Mit Urteil vom 15.03.2023 - der Beklagten ausweislich des elektronischen Empfangsbekenntnisses am 05.04.2023 zugestellt - hat das Sozialgericht Ulm (SG) den Bescheid der Beklagten vom 28.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.11.2020 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente nach einer MdE um 30 v.H. ab dem 01.02.2020 zu bewilligen.
Mit Schriftsatz vom 03.05.2023, welcher am 04.05.2023 per Telefax und am 08.05.2023 per Post beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingegangen ist, hat die Beklagte Berufung eingelegt.
Mit gerichtlichen Verfügungen vom 22.05.2023 und vom 30.05.2023 hat der Senat die Beklagte unter Verweis auf die Kommentarliteratur, die höchstrichterliche Rechtsprechung (Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - 30.03.2006, 8 B 8/06) und § 2 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) darauf hingewiesen, dass die erhobene Berufung unzulässig sein dürfte, da sie nicht - entsprechend § 65d Sozialgerichtsgesetz (SGG) - mittels elektronischen Dokumentes, sondern lediglich per Telefax und Briefpost erhoben worden ist, und eine Verwerfung der Berufung als unzulässig gem. § 158 SGG angekündigt.
Daraufhin hat die Beklagte mitgeteilt, dass es sich bei einem Telefax um ein elektronisch übermitteltes Dokument gem. § 65d SGG handele, da das Dokument, das als Papierdokument in ein Telefaxgerät eingeführt und dort zunächst elektronisch eingelesen werde, schlussendlich auf elektronischem Wege übermittelt werde. Überdies sei dem Wortlaut des § 65d SGG nicht zu entnehmen, dass nur ein Dokument im PDF-Format ein elektronisches Dokument darstelle. Auch ein Telefax könne allein computergesteuert veranlasst werden und könne daher nichts Anderes als ein elektronisches Dokument darstellen, da die Datenübermittlung auf elektronischem Wege stattfinde. Sofern dies in Kommentierungen anders ausgelegt werde, stehe dies im Widerspruch zum Gesetzeswortlaut. Soweit auf die Ausführungen im ERVV verwiesen worden sei, sei es der Beklagten nicht zumutbar, bei jeder Gesetzesänderung sämtliche erläuternde Auslegungsnormen oder Verordnungen auszuwerten und zu berücksichtigen. Vielmehr sei es Sache des Gesetzgebers, einen entsprechenden Verweis in § 65d SGG einzufügen, um dessen verbindliche Anwendbarkeit klarzustellen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15.03.2023 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
die Berufung als unzulässig zu verwerfen.
Er hat sich den Hinweisen des Senats angeschlossen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
II.
Die Berufung der Beklagten ist unzulässig und daher zu verwerfen.
Gemäß § 158 Satz 1 SGG ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn sie (u.a.) nicht in elektronischer Form eingelegt worden ist. Die Entscheidung kann nach § 158 Satz 2 SGG durch Beschluss ergehen, wobei bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung die ehrenamtlichen Richter nicht mitwirken (§ 33 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 SGG). Davon macht der Senat vorliegend nach Anhörung der Beteiligten Gebrauch.
Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung beim LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Nach Abs. 2 Satz 1 dieser Vorschrift wird die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim SG schriftlich oder zur Niederschrift eingelegt wird. Nach § 65a SGG können dem Gericht elektronische Dokumente nach bestimmten Kriterien übermittelt werden. Für Behörden wie die Beklagte besteht nach § 65d Satz 1 SGG die Pflicht zur Übermittlung u.a. schriftlich einzureichender Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument. Innerhalb der bis zum 05.05.2023 währenden einmonatigen Berufungsfrist hat die Beklagte keine formgerechte Rechtsmittelschrift eingereicht. Die Berufung ist daher als unzulässig zu verwerfen.
Die seit 01.01.2022 geltende Vorschrift des § 65d Satz 1 SGG (Gesetz vom 10.10.2013, BGBl. I S. 3786) bestimmt, dass vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentl...