Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit der Berufung. Formverstoß. postalische Berufungseinlegung einer Behörde per Telefax. kein elektronisches Dokument gem des § 65d SGG. Regelungen zum elektronischen Rechtsverkehr. sicherer Übermittlungsweg. elektronisches Behördenpostfach
Leitsatz (amtlich)
1. Ein von einer Behörde übersandtes Telefax ist kein elektronisches Dokument im Sinne des § 65d SGG und wahrt die Formvorschriften für die Berufung nicht.
2. Das SGG trifft in §§ 65 ff SGG Regelungen zu den elektronischen Dokumenten. Ergänzende Regelungen ergeben sich aus der aufgrund der Verordnungsermächtigung in § 65a Abs 2 S 2 SGG erlassenen Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach - Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV).
3. Die Übermittlung per Telefax erfolgt auf keinem sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 65a Abs 4 SGG.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16. November 2022 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer Bewegungseinschränkung der rechten Schulter nach Schädigung der Rotatorenmanschette infolge eines Arbeitsunfalls des Klägers vom 29. Januar 2021 umstritten, bei dem er an einer Maschine hängenblieb und stürzte.
Er ist 1961 geboren, hat nach der Hauptschule eine Lehre zum Schreiner absolviert und sich - nach Tätigkeit in diesem Beruf - 1991 zum Meister qualifiziert. Danach erwarb er noch die Qualifikation eines Betriebswirts im Handwerk und ist seit Februar 2017 vollschichtig als Maschinenbediener in einer Möbelfabrik tätig. Der Kläger ist verheiratet, hat zwei Kinder und bewohnt mit seiner Familie ein 120 m2 großes Eigenheim. Haus und Garten werden von den Eheleuten gemeinsam versorgt (vgl. Anamnese H1).
In der Unfallanzeige der Arbeitgeberin wurde angegeben, dass der Kläger am 29. Januar 2021 auf dem Weg von der Keilzinkanlage zur Breitenverleimung gewesen sei. Dabei sei er mit der Hosentasche an einer Ecke hängengeblieben. Der Kläger habe versucht, sich mit einem Schritt nach vorne abzufangen, sei über die am Boden befestigte Kabelbrücke gestolpert und auf seine Schulter geflogen.
F1 gab im Durchgangsarztbericht vom 29. Januar 2021 an, dass der Kläger an einer Maschine hängengeblieben sei und sich mit dem rechten Arm habe abfangen wollen. Dabei habe er Schmerzen in der rechten Schulter gespürt. Bei Aufnahme sei der rechte Arm in Schonhaltung hängen gelassen worden. Die periphere Durchblutung, die Motorik und die Sensibilität seien intakt gewesen. Schmerzen würden am rechten oberen Schulterrand und flächig am vorderen Schulterbereich angegeben. Der Arm habe nicht aktiv zur Seite oder nach vorne angehoben werden können, mit der rechten Hand sei gerade so das Kreuzbein zu erreichen gewesen. Der Nackengriff sei nicht möglich, bei passiver Anhebung des rechten Armes nach vorne oder zur Seite würden Schmerzen angegeben. Die Sonografie habe keinen relevanten Gelenkerguss gezeigt, soweit einsehbar sei der hintere Anteil des Labrums intakt, es bestehe der Verdacht auf eine Ruptur der Supraspinatussehne. Ein Hinweis auf eine frische knöcherne Verletzungsfolge ergebe sich nicht.
Im Verlaufsbericht vom 3. Februar 2021 wurden unveränderte Schmerzen an der rechten Schulter mit der Unfähigkeit den Arm anzuheben beschrieben. Die Kernspintomographie (MRT) der rechten Schulter vom 1. Februar 2021 (S1, Z1 -Klinikum) zeigte eine vollständige Ruptur der Supraspinatussehne, eine intraartikuläre nahezu vollständige Ruptur der langen Bizepssehne, eine ausgeprägte SLAP-Läsion sowie eine Partialruptur der Infraspinatussehne.
S2 legte im Verlaufsbericht vom 9. Februar 2021 dar, dass der Kläger berichtet habe, zwischen zwei Maschinen gestolpert zu sein und sich hierbei mit dem ausgestreckten Arm versucht zu haben, sich an einem ca. 60 cm hohen Gegenstand abzufangen. Hierbei sei es zu einem forcierten ARO-Trauma mit massiv einschießendem Schmerz im Bereich des rechten Schultergelenks gekommen. Es bestehe die Indikation zur operativen Versorgung. Die MRT vom 9. Februar 2021 (Radiologische Gemeinschaftspraxis L1) zeige eine ausgedehnte Supraspinatussehnen-Ruptur sowie eine Ruptur der Infraspinatussehne mit deutlicher Retraktion sowie fortgeschrittener Atrophie und bereits beginnender intramuskulärer Verfettung.
Der D1 führte beratungsärztlich aus, dass die MRT eine knöcherne hypertrophe Arthrose des AC-Gelenks mit fortgeschrittener Läsion der Rotatorenmanschette, insbesondere vollständiger Ruptur der Supraspinatussehne zeige. Verletzungsspezifische Begleitverletzungen seien trotz des relativ kurzen Zeitraums zwischen dem Unfallereignis und der MRT-Untersuchung nicht festzustellen. Aus diesem Grunde und aufgrund der Befundkonstellation, insbesondere der bereits ausgeprägten muskulären Artrophie des Suprasp...