Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistungen. Grundleistungen. Anspruchseinschränkung. selbst zu vertretende Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen. Dauer der Anspruchseinschränkung. Fortsetzung bei fortbestehender Pflichtverletzung. erneute Einzelfallprüfung
Leitsatz (amtlich)
Bei fortbestehender Pflichtverletzung nach Ablauf der erstmaligen Anspruchseinschränkung nach § 14 Abs 1 AsylbLG muss die Behörde eine neue Sach- und Rechtsprüfung des Einzelfalls nach § 14 Abs 2 AsylbLG durchführen. Lediglich wiederholende Mitteilungen der Behörde erfüllen diese Voraussetzung nicht.
Normenkette
AsylbLG § 1a Abs. 3, § 14 Abs. 1, 3; SGG § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4; ZPO § 920 Abs. 2
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 30. April 2021 wird aufgehoben, soweit der Antragsgegner verpflichtet worden ist, dem Antragsteller vorläufig vom 1. April 2021 bis zum 21. Juni 2021 ungekürzte Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
Gründe
Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat nur in dem tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Dabei haben sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache zu orientieren (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 13. April 2010 - 1 BvR 216/07 - juris Rdnr. 64; BVerfG, Beschluss vom 6. August 2014 - 1 BvR 1453/12 - juris Rdnr. 9). Eine Folgenabwägung ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn eine Prüfung der materiellen Rechtslage nicht möglich ist (BVerfG, Beschluss vom 14. September 2016 - 1 BvR 1335/13 - juris Rdnr. 20; Beschluss des Senats vom 31. Juli 2017 - L 7 SO 2557/17 ER-B - juris Rdnr. 21; Beschluss des Senats vom 22. Dezember 2017 - L 7 SO 4253/17 ER-B - juris Rdnr. 3; Beschluss des Senats vom 3. Dezember 2018 - L 7 SO 4027/18 ER-B - juris Rdnr. 19; Beschluss des Senats vom 14. März 2019 - L 7 AS 634/19 ER-B - juris Rdnr. 3).
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt (Beschluss des Senats vom 31. Juli 2017 - L 7 SO 2557/17 ER-B - juris Rdnr. 22; Beschluss des Senats vom 22. Dezember 2017 - L 7 SO 4253/17 ER-B - juris Rdnr. 4; Beschluss des Senats vom 3. Dezember 2018 - L 7 SO 4027/18 ER-B - juris Rdnr. 20; Beschluss des Senats vom 14. März 2019 - L 7 AS 634/19 ER-B - juris Rdnr. 4; vgl. Beschluss des Senats vom 29. Januar 2007 - L 7 SO 5672/06 ER-B - juris Rdnr. 2; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 - L 15 AS 365/13 B ER - juris Rdnr. 18). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist (Beschluss des Senats vom 31. Juli 2017 - L 7 SO 2557/17 ER-B - juris Rdnr. 22; Beschluss des Senats vom 22. Dezember 2017 - L 7 SO 4253/17 ER-B - juris Rdnr. 4; Beschluss des Senats vom 3. Dezember 2018 - L 7 SO 4027/18 ER-B - juris Rdnr. 20; Beschluss des Senats vom 14. März 2019 - L 7 AS 634/19 ER-B - juris Rdnr. 4; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 - L 15 AS 365/13 B ER - juris Rdnr. 18; Hessisches LSG, Beschluss vom 5. Februar 2007 - L 9 AS 254/06 ER - juris Rdnr. 4). Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. Auch dann kann aber nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden (Beschluss des Senats vom 31. Juli 2017 - L 7 SO 2557/17 ER-B - juris ...